Die Alchemie des Tango / Alles ist Tanz
Beispielhaft durch die Symbolbrille des MetaphernOrganismus einer nonverbalen Körper-Kommunikation betrachtet, die uns viele Aspekte des ZEN offeriert, und auch (kunst-)therapeutische Werkzeuge an die Hand gibt.
KüchenTango
TangoKüche

Die Küche als SymbolCluster alchemistischer Prozesse
Und der Tango als Labor,
um männliche & weibliche Archetypen,
Yin- und Yang-Schöpferkräfte sich zeigen,
und in idealtypischer Weise miteinander tanzen zu lassen,
in dynamische Balance zu bringen,
Und auf der Schattenseite des IST-Zustandes:
Beziehungsthemen
aus den Gräbern früher BindungsTraumatas
willkommen zu heißen, im Lichte des Bewußtseins,
und in liebevoller Umarmung anzunehmen,
so, wie sie sich in tänzerischen Interaktions-Ungleichgewichten
unwillkürlich zeigen:
Ein Wenig mehr dazu in meinem kostenlosen digitalen Buch:
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Tango in Zeiten der Auflösung, des Aufbäumens,
und schließlichen Zusammenbruchs der künstlichen Matrix
Der Begriff Perspektive meint in der Alltagsbetrachtung etwas linear Gedachtes, auf ein äußeres Ziel, und daher eine imaginierte Zukunft hin ausgerichtetes, auf etwas, das wir anstreben, was jedoch die starke Versuchung birgt, dabei das Gegenwärtige mit seinen Qualitäten und Möglichkeiten aus dem Blick zu verlieren. Um Gegenwärtigkeit geht es hingen beim Tangotanzen. Tango ist den Kampfkünsten des ZEN wesensverwandt. Auch dort gibt es nur einen einzigen fließenden Augenblick. Daher ist die Perspektive auf der Tanzfläche in der Regel keine lineare, durch Raum und Zeit gerichtete, sondern eine kugelartige, sich sphärenhaft entfaltende, potenzialhafte, welche danach trachtet, sämtliche Aspekte eines tänzerischen Momentums mit all seinen Anforderungs-Ebenen und ineinander verschränkten Interaktionen im Bewußtsein zu halten, und damit gelingend zu spielen. Der Blick im Tanz ist – in zweifacher Bedeutung – weder fixiert noch antizipierend, sondern lebendig, wach und in Beziehung.
Es geht beim Tangotanzen nicht darum, irgendwo hinzuwollen. Denn immer sind wir tanzend ja bereits da, in jedem Augenblick, fortlaufend fließend. Und diese tänzerischen Potenziale, welche auf innere Ressourcen verweisen, bilden dabei den Kompaß der Bewegung, ein Kompaß, der nicht räumlich ausgerichtet, sondern rein qualitativ justiert ist, bei dem es also um die Schulung innerer Fähigkeit, ihrer Verwirklichung und Umsetzung geht.
Tango geht immer möglichst kreativ und achtsam mit dem um, was gerade real geschieht. Daher kann man sagen: Tango meint auch ein „Tanzen mit der Wirklichkeit“. Und diese findet niemals in einer imaginierten Zukunft statt. Das ist auch der Grund, warum wir auf der Tanzfläche ganz schnell unsere Ängste, Nöte und Sorgen loslassen können. Sie existieren nicht ohne Vergangenheits- oder Zukunftsvorstellung. Dieses Loslassen vermißten wir gerade in Zeiten der Plandemie, wie auch die Bewegung mit einem äußeren Gegenüber, deren gemeinsame schöpferische Gestaltung im nonverbalen Dialog auf Augenhöhe, Nähe, Berührung und Umarmung. Denn seit mehr als einem Jahr blühen auf allen Tanzflächen stattdessen nur noch Spinnweben, was uns Tangueras und Tangueros jedoch – vom konkreten Tanzen losgelöst – verstärkt auf diese inneren Qualitäten des Tanzes verweist: „Denn es gab, und gibt in uns (auch mit uns allein) noch so viel mehr zu entdecken, zu berühren, anzunehmen und damit kreativ umzugehen, wofür wir mehrheitlich diese Retreat nutzten, die Einschränkungen zu unserem Potenzial-Beschleuniger machten.“ In der Stille des Alleinseins liegt noch manch ungeschürftes Gold, Neu-zu-Entdeckendes, Kennen- und Liebenzulernendes, das wir zu bewußtem Leben erwecken können, in zeitloser Zeit, beim Eintauchen in die Natur, mit Yoga, Meditation, achtsamer, nicht wertender Introspektion, anderen künstlerischen Formen et cetera.
Aus dieser Perspektive spielt es keine Rolle, welcher ‚Film‘ im Außen gerade inszeniert wird.
Ein wahrer Tänzer nutzt Gegebenheiten, daran zu wachsen und sein Licht immer mehr leuchten zu lassen.
Mich hat diese Zeit noch mehr einkalibriert auf den Weg meiner Herzensbestimmung.
Was damit gemeint ist, mehr dazu hier: https://integrale-mediation-beratung-meditation-muenchen.de/zentrum-neue-erde-muenchen/
und in meinen Youtube-Videos: https://integrale-mediation-beratung-meditation-muenchen.de/video-vortraege-interviews-integrale-mediation/
Auch mein Zugang zum sinnlich-ästhetischen GestaltungsMedium, bzw. mein Wirken damit, wie zum Beispiel im therapeutisch-spirituellen Kontext, hat sich seitdem weiterentwickelt: https://integrale-mediation-beratung-meditation-muenchen.de/916-2/
Über die Schwelle der Zeit hinaustanzen
Oder das Erleben von Zeitlosigkeit und Flow im Tango vom Rio de la Plata
Eine Perlenkette der Bewegung: Wer nur von A nach B denkt, sich also im ‚Konzept von Schritten‘ oder anderen vorgefaßten Formen bewegt, befindet sich in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Denn jeder noch so kleine Punkt in der Bewegung ist Es, im Tanz – und nicht nur dort –, fortlaufend fließend. Weil es dabei eben nicht darum geht, irgendwohin zu wollen. Tango ereignet sich in jedem Augenblick, entsprechend dazu in jedem noch so kleinen Punkt der Bewegung, mit seinem ganzen unwiederbringlichen Potenzial an Kommunikation, weichenstellender und schöpferischer Gestaltung.
Vertiefen wir unsere Präsenz und Wahrnehmung, finden wir in jeder noch so dicht gefädelten Kette an Bewegungs-Momenten – zu deren Erfassen und tänzerischer Durchdringung wir schon fähig geworden sind –, noch weitere in der Tiefe, in einer nie enden wollenden Annäherung an ‚Limes-Unendlich‘; ein offener Prozess, der nur durch unsere geistige Kapazität des Mitgehens und Durchdringens begrenzt wird.
Hier, und nicht nur hierin, begegnen sich die Wege des Tangotänzers, des Zen-Mönchs, des Tantrikers, des Samurais sowie der fortgeschrittenen Bohemiens und Müsiggänger.
Schon bei seiner Entstehung im Einwanderungs-Präkariat der Vorstädte von Montevideo und Buenos Aires war eine der zentralen Stärken des Tango, den Menschen eine Zuflucht zu gewähren: aus ihren katastrophalen Alltags-Nöten – in die Wärme und das Gehalten-Sein einer höchst intimen Umarmung hinein. Und noch heute gilt:
Tango bietet Zuflucht in die Gegenwart, den fließenden tänzerischen Moment, ins EWIGE JETZT, Zuflucht also in reine Augenblicks-Qualitäten, die sich erst jenseits unserer Zeit-Wahrnehmung als Flow-Erleben offenbaren.
Erdrückende und chronisch unlösbar scheinende Sorgen, die sich in unserem Bewußtsein eingenistet haben, sind immer mit der Betrachtung von Zukunft und Vergangenheit verknüpft. Der potenziell eskapistische Moment, der anhält, solange wir Tango tanzen, und uns davon absorbieren lassen, enthebt uns solcher dauerhaften Zumutungen und Zermürbungen.
Im Zusammenhang mit anderen und ausdrücklicheren Formen der Meditation wird oft beklagt, daß es so schwierig sei, mit der Aufmerksamkeit nicht abzudriften und zum Beispiel nicht an seine Sorgen oder an Schokolade oder Sex zu denken. Das gilt jedenfalls nicht im Tango. Denn dieser ist so etwas wie getanzte Schokolade, nur besser.
Als Kinder konnten wir das alle noch gut, ganz bei einer Sache zu sein und uns darin selbst begegnen, während wir uns einem Spiel hingaben, an das wir uns verloren. Kinder tanzen auf ihre Weise Tango, mit allem, was sie tun. Nur Erwachsene treiben heimatlos durch die Zeit, wie Flüchtlinge, auf der Suche nach der verlorenen Zeitlosigkeit, danach, sich selbst wieder zu spüren. Wie beispielsweise in der intimen Nähe des Tango, seines unvorhersehbaren und fesselnden Dialog-Geschehens mit einer nicht selten völlig fremden Person, die wir dabei so intensiv und umfassend wahrnehmen können, wie vielleicht oft die eigene Partnerin oder den Partner schon gar nicht mehr. Ihren Duft, die ganze Komplexität ihrer Gefühls- und Gemütsverfassung, die sich unmittel- und nicht steuerbar über den ganzen Körper ausdrückt, in einer Umarmung, die so nah ist, daß wir ihr oder sein Herz schlagen spüren, unsere beider Atem sich verbinden – und die doch so unglaublich viel Bewegungsfreiheit läßt! Eine Umarmung, die uns eins werden und dabei dennoch zwei autonome Individuen bleiben läßt.
„It takes two to tango“ – es braucht zumindest eine Zweiheit, also ein Gegenüber, damit Wirklichkeit erlebt wird. Natürlich können wir eine solche Zweiheit-, Vielheit oder Vielschichtigkeit auch in uns allein erleben. Doch erst aus diesem Zusammenspiel kann Gegenwart erwachsen.
In unserer Dimension, in der wir, zumindest noch nicht immer, im Bewußtsein der Allvebundenheit leben, bedarf eines – scheinbar nach außen orientierten – Beziehungs-Geschehens, um sie auf allen Ebenen zu empfinden.
In der Gegenwart zu sein, ist ein völlig zeitloses Unterfangen, das mit einem Zustand der Selbstvergessenheit einhergeht, in dem wir uns paradoxerweise gerade selbst sehr wirklich und lebendig fühlen.
Spielen und Bezogenheit als Bedingungen des Lebendig-Schöpferischen: Im Spielen, als grundmenschliche Verhaltensweise, die wir auch mit den Tieren gemeinsam haben, zeigt sich eine Ur-Metapher für alles schöpferische Tun sowie für jegliches Beziehungsgeschehen – und damit für das Leben an sich.
Beziehungen – wie zwischen dem Kind und seinem Spiel – sind nichts Planbares, weil völlig offen in ihrem Fortgang, wie der Tango, diese getanzte Beziehung par excellance. Sie bilden von Augenblick zu Augenblick einen wechselseitigen Vorgang ab, von ‚Beantworten und Beantwortet-Werden‘. Die Zwischenräume, die sich darin auftun, bilden das Medium, in dem das schöpferische Moment immer wieder in Form spontaner Ideen aufblitzen und einfließen kann. An einem wirklichen Gespräch, in dem nicht nur vorgefertigte Textbausteine ausgetauscht werden oder sich „Ewig Gleiches“ im Kreise dreht, zeigt sich dies am deutlichsten – wie beim echten Tango. Dafür bedarf es aber wirklichen Zuhörens oder besser noch des Lauschens mit allen Sinnen und eines offenen und gegenwärtigen Geistes. Das ist aber nur möglich aus einer Haltung der Langsamkeit und des Wartens. Warten jedoch nicht im Sinne von als tot empfundener, weil leerer Zeit, da es uns auf eine festgelegte Erwartung fixiert, also an eine bestimmte Zukunfts-Fiktion fesselt. Gemeint ist kein Warten auf etwas, das nicht oder noch nicht da ist, sondern im Sinne von gegenüber etwas zu warten, das eigentlich schon da ist, bis das, was mir Gegenüber ist, sich mir in seiner Wahrnehmungswirkung konkret mitteilt, diese mich erfaßt.
Die hier gemeinte Langsamkeit ist also keine Frage der Geschwindigkeit. Ihr Gegenspieler ist nicht die Schnelligkeit, sondern nur die Eile, mit fehlender Anbindung als Folge (oder auch in umgekehrter Ursächlichkeit). Denn immer geht es hier darum, gegenüber etwas zu warten, gegenzuwarten, solange bis sich Verbindung und damit Beziehung einstellt. Dieses retardierende Moment ist genauso entscheidend für jedes wirkliche Zuhören in einem verbalen Gespräch wie auch im getanzten Bewegungs-Dialog des Tango, bei dem ich ebenfalls nie weiß, was im nächsten Moment geschieht, und ich daher mit allen Sinnen, mit Geist und Körper mich auch noch den feinsten Äußerungen meines Gegenübers zu öffnen habe, um dessen Signale zu erfassen. Am deutlichsten wird dies in der Rolle der Folgenden, die stets über ihren Brustkorb sanft und direkt an jenem des Partners haftet. Dabei verzögert sie, sich in die Umarmung schmiegend, ihre Bewegung solange, bis der Führungsimpuls ihr lockeres Bein, bei gerader Körperachse, einfach mitnimmt. Wiederum verzögert auch der Mann seine Schritte gegenüber den ihrigen, bis er sich vergewissern konnte, diese jeweils gut auf den Weg gebracht zu haben. Erst dann, im letztmöglichen Moment, passt er seine Beinbewegungen den ihren an.
Diese kurze Beschreibung dürfte schon eine gewisse Vorstellung vermitteln, wie fein hier die Aufmerksamkeit stets beim Gegenüber wie auch beim eigenen Tun – sowie der komplexen Interaktion beider Ebenen – weilt. Und das bereits in der Synchronisation einfachster gemeinsamer Gehbewegungen im Paar, die nur die Grundlage für noch sehr viel komplexere Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten darstellen.
Nur in der Gegenwärtigkeit ist alles tanzbar: Durch die Brille der Zeitlichkeit betrachtet, stellt die Gegenwart den nicht faßbaren Scheitelpunkt dar, über den der Fluß der Zeit aus der Zukunft in die Vergangenheit fließt. Darin beschreibt sie den unendlich kurzen Moment, in dem sich beide in dynamischer Weise zu berühren und überlagern scheinen, Zukunft und Vergangenheit. Aus der Zeitwahrnehmung heraus ist die Gegenwart also erschreckend verschwindend und wenig faßbar. Kommt man jedoch in ihr an – in der Gegenwart –, wie beim Tangotanzen, befindet man sich jenseits davon, nämlich in der Zeitlosigkeit, die das eigentliche Medium des Seins darstellt – die Wirklichkeit:
Dort besteht das ‚Jetzt‘ aus einem fortlaufend fließenden Augenblick.
Und da jegliches Sein ein Beziehungsgeschehen darstellt, … Müßte da nicht fast alles tanzbar sein?
Warum nur lernen wir andauernd so viel Unnötiges, das wir ohnehin gleich wieder vergessen, da es für unser Leben keine wirkliche Bedeutung zu haben scheint? Weshalb lernen wir stattdessen nicht einfach wieder, mit dem Leben Tango zu tanzen, wie die Kinder? Und uns von diesem auch bewegen und führen zu lassen.
Die Bedrängnis von Raum und Zeit in der ‚modernden‘ (lebendigkeits-fernen) Moderne
Für die Erfahrung des Raumes bedarf es der Bewegung, die immer auch eine Bewegung durch die Zeit bedingt. Ohne sie gibt es kein Durchmessen des Raumes, bleibt dieser abstrakt, nur Idee und Vorstellung. Daher verbinden sich in der Bewegung beide Daseins-Komponenten (Raum und Zeit).
WIRKLICHKEIT, in einem tieferen Sinne hingegen, eröffnet jedoch auch eine Raum und Zeit überschreitenden Dimension. Diese wird in den Augenblicks-Qualitäten von Flow-Erlebnissen erfahrbar, die sich aus der Hingabe und Erwartungslosigkeit schenken, wenn bloße Bewegung zu Tanz transzendiert. Wir kennen das insbesondere vom TANGO, der aufgrund seiner hohen Anforderungen an Gegenwärtigkeit, Zentrierung und Präsenz, als rein improvisierter nonverbaler Real-Dialog, auch eine ausgeprägte Dimension der Paar-Meditation aufweist. Dort vereinen sich Raum und Zeit in einer Weise, die uns wiederum deren Kontext im gemeinsamen Bewegungs-Flow enthebt. Einer der Gründe, warum von diesem Tanz eine so starke Anziehung ausgeht.
Wie modernes Leben unser Dasein zunehmend beschleunigt und die freie, Zeit dabei verknappt, findet parallel dazu eine ähnliche Entwicklung auf der Ebene des Raumes statt, zumindest im urbanen Kontext globaler Verstädterung, welche die Lebensrealität von immer mehr Menschen prägt. Städtischer Raum wird immer enger, öffentlicher Raum zunehmend eingeschränkt, der Verlust humaner Aufenthalts- und Begegnungsqualitäten, sowie solcher von Rückzug und Stille darin, schmerzt. Und freier Wohnraum ist kaum mehr verfügbar, für die Meisten ohnehin bald unbezahlbar. So schwindet auch der persönliche Raum um uns, wird förmlich hinweggeschmolzen, einhergehend mit dem Verlust an Privatsphäre und wachsenden Vereinsamungs-Tendenzen – nur ein scheinbarer Widerspruch. Und in der Virtualisierung des Lebens aufgrund steigender Vereinnahmung digitaler Aspekte des Seins, verlernen wir, den realen Raum um uns, sowie um unsere Mitmenschen herum zu empfinden, zu schützen, zu respektieren und für achtsamen Kontakt in Anspruch zu nehmen. Übergriffigkeit geschieht gerade auch aus diesem Verlust an Wahrnehmung und Bewusstsein.
All dem entgegenzuwirken, stellt die Kultur des „Tango vom Rio de la Plata“ ein breit gefächertes Übungsfeld dar, einer Kultur, zu der wir auf diesem Festival gleich mit zwei Filmen vertreten sind.
BEWEGUNG – ODER ALLES WIRKLICHE IST TANZ
Im Begriff der Bewegung ist jener des Weges bereits enthalten. Und in den Wegen, die wir gehen, flechten sich Raum und Zeit unabdingbar und unauflöslich zu einem Band. Denn beide Grundkonstanten der Polarilität in dieser dreidimensionalen Dichtestufe sind notwendig, um einen Weg zu gehen. Die dritte existenzielle Komponente, die uns dieses Band jedoch erst wirklich zueignet, und auf Einheit hinter allem Polen verweist, deutet auf innere Qualitäten hin, die sich aus Bewußtsein, und der Präsenz unseres Wesens innerhalb der Bewegung erschließen. Erst aus dieser dritten und inneren Existenzbedingung erwachen in uns Potenziale wie „Gegenwärtigkeit“, daraus wiederum „Bezogenheit“ sowie schöpferisch inspirative Qualitäten.
Umgangssprachlich sprechen wir davon, einen Weg zurückzulegen. Durch dieses „Zurück“ der Alltagsbetrachtung verweisen wir aber den Weg in die Vergangenheit, reduzieren ihn auf etwas, das sich nur einem Zweck, einer äußeren Notwendigkeit unterwirft, und am besten schon vorbei, erledigt, getan sein sollte.
Nun können wir die Wege unseres Lebens mühsam abgehen. Wir können sie jedoch ebenso durchtanzen. Tanz hat, als unentwegtes Beziehungsgeschehen, höchst meditative Potenziale, wie auch solche der Selbst- und Fremdbegegnung, oder das Pilgern. Dort geht es nie vorrangig um ein „Zurücklegen“, sondern um ein Fortlaufend-Fließendes in der Bewegung –, und zwar der inneren, seelisch-geistigen, emotional-gedanklichen, wie auch der äußeren Bewegung, die miteinander Raum und Zeit erst transzendiert und durchlässig macht, für das Numinose, das sich enigmatisch hinter dieser Raumzeiteinheit verbirgt.
Und wenn wir wirklich tanzen, tanzen wir immer auch mit dieser zutiefst geheimnishaften Instanz. Ganz ähnlich verhält es sich beim Geschichten-Erzählen, bzw. wenn wir als Zuhörer einer Erzählung folgen, sei es um ein Feuer sitzend oder uns vor einer Kinoleinwand durch eine Geschichte führen lassen. Auch hier sind wir ganz gegenwärtig, auch hier gibt es die Rolle des Führens und des Folgens wie im Argentinischen Tango als Tanz, also des vordergründig aktiven Parts und der vordergründig rezeptiveren Seite. Doch sowohl „Führen“ wie auch „Folgen“ bedingen jeweils das rezeptive wie auch das aktive Element in ihrem Tun. Das gilt ebenso für den Erzähler, Regisseur; Filmemacher, als auch für den Kinobesucher, Zuschauer, -Hörer (denn in ihnen bildet sich erst der Film in individueller Weise ab). Und natürlich genauso für den Führenden und Folgenden beim Tangotanzen.
2012 gründeten Matthias Helwig und Ralf Sartori, Tangolehrer, Autor, Redakteur und Herausgeber von TANGO GLOBAL, die Reihe TANGO IM KINO, mit Film, kostenloser Einführung für Singles ohne Tanzpartner, und einer Milonga (Tanzabend) in der zur Tangobar umgestalten Lounge, zu der sie jeden letzten Freitag zweimonatlich auf Schloß Seefeld bei München, einladen. Bisher kamen sie damit auf mehr als 80 internationaler Tango-Dokus und -Spielfilme. Damit ist diese Reihe bereits jetzt weltweit einzigartig. Und sie geht immer weiter.
Mehr darüber, mit den stets aktuellen Terminen: https://tango-a-la-carte.de/tango-muenchen-das-muenchener-tangoangebot/tangofilm-breitwand-kino-schloss-seefeld-milonga
Ralf Sartori ist Tangolehrer, Foto- und Paartherapeut, Autor, Redakteur und Herausgeber von Tango Global
Gerne könnt Ihr die Texte verwenden, doch nur mit folgendem Hinweis:
Alle Texte mit © von Ralf Sartori

Tango-Einführung auf Schloß Seefeld im Rahmen meiner Reihe TANGO IM KINO
Was hier gleich folgt, sind nun ältere Essays von mir,
die, auch, wenn ich sie nun für die Veröffentlichung hier frisch überarbeitet habe, noch ein anderes Bewußtsein, eine andere ‚WeltWahrnehmung‘ spiegeln, als sie mir heute, im gegenwärtigen Jetzt zu eigen sind. Doch ich mag sie immer noch, und nach wie vor empfinde ich sie als etwas Verwandtes in mir, weshalb ich sie hier zur Verfügung stelle.

Sur – Oder der Süden ist etwas Inneres
Sur von Fernando E. Solanas hatte ich irgendwann in den 1980ern im Yorck-Kino, in der Gneisenaustraße in Kreuzberg 61 gesehen, als jedes Viertel noch eine eigene zweistellige Postleitzahl hatte – und Berlin ganz allgemein die 1.000 davor.
Kreuzberg hatte sogar zwei davon: In „36“ gab es die meisten Punks und Hausbesetzer, Türken, und in jeder erdenklichen Richtung radikalisierte junge westdeutsche Zuzüglinge, vorwiegend schwäbischer Provenienz. Es hatte die Hochbahn und grenzte ausgiebig an die Mauer.
Der Film und die -Musik, vor allem ein Tango mit gleichnamigem Titel, lenkten von dieser Nacht an meine Wege um; seitdem sind dreieinhalb Jahrzehnte vergangen. „Nie wieder werde ich mit den Sternen unseren klaglosen Weg durch die Nächte von Pompeya beleuchten. Die Straßen und die Monde des Vororts und meine Liebe und dein Fenster.“
Es ist einer dieser typischen Wintertage in Berlin, an denen man nicht wirklich sagen kann, ob es schon Abend ist oder erst Nachmittag, der Himmel bewölkt oder nur dunstig. Ein dämmriges und auf der Zunge beim Atmen leicht herb schmeckendes Sepia hält seit Wochen die kalte Luft durchdrungen, im Griff, und das gefilterte Halblicht erzeugt die melancholische Dunstglocke, in der sich die Gedanken gerne im kleiner werdenden Kreis nach innen verdichten, um dort miteinander zu tanzen. Im Auto läuft Tango.
An der nächsten Ampel hole ich die Kassette raus und wickle schnell mit dem Bleistift das Band ein weiteres Mal straff, das der Recorder immer wieder einzieht. Geschafft, die Lieblingskassette ist noch einmal gerettet. Auf dem Weg vom Südstern zu den Yorck-Brücken fahr ich langsam an den Wannen vorbei, mindestens zwanzig vergitterten Polizeibussen. Vor Bolle lagern noch einige Punks, die sich davon demonstrativ nicht aus ihrem Gleichmut bringen lassen, obwohl seit den Unruhen gestern die Atmosphäre angespannt bleibt. Die Straße ist dennoch frei: keine Sperrung mehr. So schaffe ich‘s rechtzeitig zu Michas Kurs in der „Weißen Rose“ beim Schöneberger Rathaus.
Wie freue ich mich! Er ist zurück aus Buenos Aires und hat dort wie üblich seine ganze Kohle für Schellacks, Venyl-Platten (CDs waren gerade erst am Kommen und es gab bislang nur wenig an digital bearbeiteten historischen Tango-Aufnahmen, die dann vorwiegend aus Japan kamen.) Partituren und Unterricht bei Antonio Todaro gelassen. Für eine Choreografie-Stunde nimmt der Maestro zu diesem Zeitpunkt fünf Dollar. Er war beinah in Vergessenheit geraten, wie der Tango selbst. Etwa zehn Jahre später werden manche seiner Schüler, bekannt geworden in den einschlägigen internationalen Shows, schon um die zweihundert für eine Privatstunde verlangen.
Micha ist Ur-Berliner, einer der dort aufgewachsen und geblieben ist. Für Tango lebt und brennt er, aber auch als Bläser, von Ska, der schnellen Musik der britischen Vorstädte, mit ihren jamaikanischen Wurzeln. Zu dieser Zeit kann sich noch keiner von uns vorstellen, daß die Arbeit mit Tango irgendwann zu einem Geschäft mit breitem Publikum werden könnte.
In der Regel sprechen wir nicht über das, womit wir uns von früh bis spät, alle Tage, jede Woche, beschäftigen. Denn nur allzu oft haben wir diese Reaktionen schon erlebt, daß die Leute dann sagen „Was, Tango?“, um sich gleich grinsend die imaginäre Rose zwischen die Zähne zu klemmen und mehr oder minder dämlich die Haltung einzunehmen, die das Klischee des Standard-Tangos ausmacht, der mit dem Original so viel gemeinsam hat wie der Kaffee, den Roberto in der Napolitana auf seinem alten Gasherd braut, mit der Instantbrühe im Plastikbecher aus dem Automaten in der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses, wohin wir Catalina blutüberströmt brachten, nachdem sie mich angerufen hatte. Sie war beim Einkaufen nichts ahnend zwischen die Fronten geraten und daher nicht weggelaufen, als die SEK-Leute in ihren Turnschuhen angerannt kamen, die man, wenn man das nicht kennt, auch nicht für Polizisten hält.
Zu dieser Zeit ist Rechtsaußen Heinrich Lummer Innensenator, die Bildzeitung hetzt täglich gegen die sog. linken Chaoten, polarisiert die Bevölkerung der Stadt, und so etwas wie Deeskalations-Strategie scheint, ebenso wie heute, niemanden zu interessieren – im Gegenteil: Hartes Vorgehen ist gewollt, Eskalation liefert die Rechtfertigung dafür, befeuert von Polizeiprovakateuten auf den Demos.
Absurderweise hat der immanente Totalitarismus sich mittlerweile äußerlich um 180 Grad gedreht: Trat er damals noch im rechten Habitus auf, kleidet er sich heute, nach der system-implementierten ‚Mikrobenkrise‘, immer unmaskierter, Grundrechte mißachtend, eu-weit im Regenbogen-Mäntelchen.
Nannte man uns damals noch linke Chaoten, gilt heut für uns: Ist der ‚Bürger‘ erst mal unbequem, gilt er gleich als rechts-extrem. Die Methoden sind die gleichen, nur die Farbe im Fähnchens des system-immanenten Faschismus haben sich diametral gedreht. So mißbraucht er unsere damaligen Embleme.
Findet Ihr den Begriff Faschismus zu hart? Dann sehen wir uns doch mal die Definition des italienischen Faschismus mal an: Danach leitet sich dieser Begriff von „Fascia“ ab, was Bündel bedeutet. Und im Faschismus geht es eben genau um die Bündelung der sog. politischen Macht mit dem Finanzkapital, so wie auch heute wieder im globalen Machtpoker der Künstlichen Matrix.
Catalina hatte die Militärdiktatur in Argentinien mit Glück und Vorsicht überstanden. Dort kannte sie sich aus; hier wußte sie nicht, worauf zu achten ist. Der Schock durch die Schlagstöcke und Tritte, darüber, daß das auch hier passieren kann, dürfte die schlimmere Wunde sein. Zum Glück hat sie es noch bis zu einer Telefonzelle geschafft.
Roberto, der mit dem guten Kaffee, steht jeden Abend hinter der Theke im „El Parron“, einem kleinen chilenischen Lokal mit hervorragender karibischer Küche, in der Carmerstraße, nahe des Savigny Platzes, etwa zwei überfließende Erinnerungen an Tänze in seinem Lokal von der Parisbar entfernt, wo es uns zum Ausklang des Abends öfter hinzog, wie auch viele der Kellner und Barkeeper der Stadt nach Schichtende (Zu dieser Zeit kellnerte auch ich noch im Bouvril am Kudamm).
Nostalgias de las cosas que han pasado, / arena que la vida se llevó, / pesadumbre de barrios que han cambiado …” Sehnsucht nach den vergangenen Dingen, / Sand, den das Leben forttrug, / Kummer über die Stadtviertel, die sich geändert haben …
Daß Süden (span. Sur) ein Zustand ist, keine Himmelsrichtung, habe ich gelernt. So sitze ich auch heute oft noch an einem der Tische der „Parisbar“ oder im „El Parron“, das es mittlerweile ebenfalls nicht mehr gibt, zurück in der Zeit, als die Stadt noch Biotop und Paradies für Künstler, Romantiker, Exilanten und diverseste Verrückte war – paradoxerweise im Schutz und Schatten einer traurigen Mauer –, bis mich etwas von dort wieder in die Gegenwart zurückholt, den Norden, wo kühler Kommerz und kalte Technokraten unaufhaltsam die letzten Reste des Wirklichen im Urbanen hinwegkonsumieren.
Denn in den Städten hat man längst begonnen, all das zu zerstören, was ihren eigentlichen Wert und Reichtum ausmacht: Beseelte Architektur und Stadtlandschaften, Urbanität im besten Sinne – von Vielfalt in jeglicher Hinsicht und kulturellen Entfaltungs-Spielräumen.
© Ralf Sartori

Untergangs-Romantik im damaligen Insel-Biotop und Endzeit-Tango
Im West-Berlin der 1980er Jahre, diesem einzigartigen Insel-Biotop, flossen wir durch das eindringliche Jetzt einer wild ekstatischen Untergangs-Romantik, in einem rauschend lebendigen Totentanz. Die Sound-Tracks dazu lieferte der damals noch in Berlin lebende Nick Cave, den wir im K.O.B. an der Potse, bei Alex im Risiko unter den Yorck-Brücken, wo die S-Bahn drüberdonnerte, oder im Ex´n´Pop erleben durften.
Den eigenen Weltschmerz konnte man sich auch genußvoll im Café Adler, Ecke Friedrich- und Zimmerstraße, beim Frühstücken überlassen, mit Blick auf den „Check Point Charly“. Das war der Kontrollposten, wo sich die Amis und die Russen schwer bewaffnet an den Feuergräben ihrer jeweiligen Einfluß-Zonen gegenüberstanden. Berlin bildete den Mikrokosmos und Brennpunkt des sog. Kalten Krieges.
Und die Gruppe Ideal sang dazu: „Komm, wir lassen uns erschießen, / an der Mauer Hand in Hand. / Komm, wir lassen uns erschießen, / mit dem Kopf an der Wand. … / Sonntag morgens 5 vor 10. / Ich kann den Sonntag nicht ertragen, / und ich will keinen Montag sehn. …“
Dann kam mit den Studenten und Künstlern, die vor den Militärmachthabern in Chile, Uruguay und Argentinien geflohen waren, der Tango nach Berlin, woraus eine sehr familiäre Community entstand, verbunden durch die Melancholie, die Musik und den Tanz vom Rio de la Plata, die mich für lange Zeit förmlich aufsogen.
Global-dystopischer Wirbel heute, als Schatten-Reaktion auf die Goldene Morgenröte des Neuen
Die prekäre Weltlage scheint sich, zumindest nach dem Scheitern der 2019 gezielt herbeigeführten und mit langer Hand vorbereiteten Mikrobenkrise, zu wiederholen, und das auch noch in gesteigerter Form.
Doch aus unserer heutigen Wahrnehmung heraus dürfen wir nun entspannt dem Gesamtprozeß, sowie den neuen Energien vertrauen, die – tendenziell – Tag für Tag stärker, auch auf die 3D-Erde einströmen.
Denn das, was wir als Neuschöpfung bezeichnen, und seit dem Durchschreiten des Nullpunkt-Portals auf der Erde, in Form entsprechender Licht-Codes und Potenzierungs-Energien, seitdem durch die höheren Welten, und auch durch uns als die inkarnierten Licht-‚Kanäle‘, genau orchestriert wieder auf die 3D-Erde zurückströmt, ist bereits in allen darüberliegenden Dimensionen als stabile und unumkehrbare Wirklichkeit verankert.
Auch die drittdimensionale Ebene findet sich bereits im gesamten Multiversum in diese Neue Realität integriert.
Nur unsere 3D-Erde, auf der wir in unserem inkarnierten Bewußtsein Realität erfahren und gemeinsam manifestieren, ist noch nicht durch diesen endgültigen Shift hindurchgegangen.
Der Grund dafür liegt in der speziellen Rolle der Erde innerhalb dieser kosmischen Transmutation, der ein langer Verdichtungsprozeß unseres Planeten und der eigenen Bewußtseine vorangegangen ist. Doch dieser Umkehrpunkt wurde ja nun bereits im Frühling 1919 unumkehrbar durchschritten; und überall im gesamten Multiversum sowie allen höheren Dimensionen ist die Neuschöpfung bereits als neue Göttliche Matrix wirksam.
Deshalb wird es vom Quellbewußtsein auch nicht zugelassen werden, daß die Erde, wie wir sie derzeit auf 3D noch erleben, final in den Abgrund einer kriegerischen und transhumanistischen Dystopie geworfen wird. Denn alle Dimensionen, sämtliche Bewußtseine und Bewußtseins-Habitate des gesamten Multiversum, die aus der göttlichen Quelle herausstrahlen, sind über diese universelle Verschränkung miteinander verbunden und über den Ursprung eins.
Da dieser evolutionäre Transmutationsprozeß, gemeinsam mit uns hier inkarnierten Menschen, von der Erde ausgeht, und wir hier, aus Gründen, die ich ausführlicher in meinen Seminaren und Youtube-Videos erkläre, kommen der Erde Gaia und uns für diesen kosmischen Gesamtprozeß eine Schlüsselrolle zu. Hierfür könnte folgende Analogie passen, daß der Käpten eben zuletzt das Schiff der dualen alten 3D-Matrix verläßt, und diese dann danach endgültig und überall Geschichte ist. Die Dualität wird danach nicht mehr gebraucht, die Polarität hingegen wird es auch weiterhin geben, nur wird sie immer mehr in eine unendlich zunehmende Multipolarität hineinfraktalisieren.
Auf unserer 3D-Erde ist die größtmögliche Vielfalt an Entitäten, aus dem gesamten Multiversum, und ebenso Bewußtseinen, von ganz dunkel bis ganz hell, inkarniert, auch ein Grund, warum sich unsere Welt noch nicht in das Neue ganz eingliedern konnte. Das Positive daran ist, daß uns dadurch uns noch etwas Zeit gegeben wird, uns noch mehr an die höheren Schwingungen anzugleichen, indem wir unsere inneren Themen lösen bzw. transformieren können.
(Falls Ihr Euch für diese Innere ‚Arbeit‘ Begleitung und Unterstützung wünscht – auch für Paare möglich -, kontaktiert mich gerne, um ein kostenloses Vorgespräch zu vereinen. Meine Nummer in Deutschland ist 0172/ 827 55 75. Und Ihr findet mich auf Telegram, unter @RalfSartori )
Doch für den finalen Wandel, auch auf der 3D-Erde, bedarf es KEINER kritischen Masse an Menschen, die erst noch zu erreichen wäre, wie oftmals aus einschlägigen Youtube-Videos verlautet.
Denn die Neuschöpfung ist auch auf der zukünftigen 3D-Erde bereits unumkehrbare Realität, und verstärkt aus dieser Zukunftslinie zunehmend ihre Einstrahlung wie auch ihre Sogwirkung. Denn im ewigen Jetzt existiert sie bereits, an das unsere sog. Gegenwart mittlerweile schon fest angebunden ist.
In dieser Zukunft wirken wir bereits aus unserer Herzensberufung und über unsere Göttlichen Wesenstalente heraus.
Dieses ganze Untergangs-Schauspiel, das derzeit global von den Globalisten, den sog. Eliten im Hintergrund ‚inszeniert‘ wird, dient nur dazu, unsere Bewußtsein in Angst und Sorge, dadurch in einer niedrigen Schwingung zu halten, da sie glauben, dadurch den Shift, und damit den endgültigen Wandel auf der Erde, noch aufhalten zu können. Weil wir ja die Lichtkanäle sind, durch welche die Energien einströmen, und sich in der Erde verankern. Wenn wir hingegen im Bewußtsein der Angst und Niedergeschlagenheit verharren würden, wären unsere energetischen Kanäle nicht so sehr geöffnet und durchlässig, wie sie es sein könnten, solange wir im Vertrauen in die Weisheit des Lebens, der Freude und Leichtigkeit sind.
Und die lichtvolle Seite läßt die momentanen ‚Endzeit-Szenarien‘ auch deshalb noch zu, weil viele Seelen, aus ihrem höheren Bewußtsein heraus, vor ihrer Geburt entschieden haben, dadurch noch durch einen ‚Ausgleich‘ früherer Handlungen zu gehen (karmische Wirkkraft)
© Ralf Sartori
Die Schlösser am Fluß
Man kann nie zweimal in den selben Fluß steigen …
auch Der Mensch ist ein Fluß …
Alles fließt.
(Heraklit)
Ist es nicht seltsam, dass wir in unserer Sprache sagen, wir seien am Leben? Als hätten wir überhaupt keine Ahnung, was dies eigentlich bedeutet. Andernfalls müsste es doch heißen: „Wir sind im Leben.“, oder in gesteigerter Form: „Wir sind das Leben“.
„Am Leben sein“ verweist als Sprachbild eindeutig auf den Rand, die Peripherie, diese bestenfalls berührend. Daran erinnerte mich der Fluß an einem grauen Herbst-Tag, als es mir, am Ufer sitzend, schon zu kalt war, noch in ihn einzutauchen. Er (oder müsste es nicht passender heissen: Sie?) nahm mich trotzdem auf: in ihre tiefe Aura und ihr mannigfaltiges Tönen, ihre Bilder, ihr Bewegtsein. Nach einer selbstvergessenden Zeit.

Als Paar den Kreis miteinander zu schließen und darin eine ganze Welt, ein beseeltes und sprechendes Universum vorzufinden, kann, wie die Erfahrung zeigt, ein mehr oder minder flüchtiges Ereignis sein. Dieses stellt sich ein, nimmt zu und entzieht sich auch wieder, auf daß es vielleicht, aus sich selbst heraus, von Neuem in Erscheinung tritt. Es ist also etwas zutiefst Lebendiges, nichts Statisches, nichts, das sich nach Belieben hervorbringen, künstlich herstellen, per Vertrag kontrollieren und festhalten ließe.
Versuchen wir es trotzdem, verengt sich dieser Kreis zu einem eisernen Fessel-Ring, dem das Magisch-Lebendige entflieht.
Doch wer kennt die Versuchung nicht, einen solch zeitlosen und beglückenden Zustand der Verbundenheit festhalten zu wollen? Geben wir ihr nach, ereilt uns die altbekannte Erfahrung eben ein weiteres Mal: Halte ich am Glück zu sehr fest, frißt es mich als Unglück auf.
All das kommt mir heute wieder in den Sinn, während ich über eine der Münchner Isarbrücken flaniere. Dort reiht sich längst überall ein buntes Vorhängeschloss neben das andere. Jedes einzelne wurde als ehernes Symbol einer persönlichen Liebe – und Ausdruck der zutiefst menschlichen Hoffnung auf Beständigkeit –, fest verschlossen, mit zwei Namen in das Eisen graviert, an das Geländer gekettet. Darunter: der frei fließende, einmal an-, und dann wieder abschwellende Fluß.

Durch dessen wechselhaften Lauf und mit all seinen unvorhersehbaren Strömungsbewegungen wird er zum Bildnis steter Wandlung, in dem sich auch Stabilität und Dauer ausdrücken, jedoch in ganz anderer Weise: Denn der Fluß behält – zumindest in dessen jeweiligen Abschnitt – sein Wesen und seine Eigenart bei, während er sich unentwegt verändert, und findet gerade darin Beständigkeit. Was für ein Symbol für das Leben und die Liebe, zwischen Zweien, die einander gegenüber sind! Ein Gegenüber, wie die beiden Ufer des Flusses, der als tanzender Zwischenraum das dynamische Geschehen der Beziehung förmlich verkörpert. Denn stellen die Liebe und der Eros nicht immer ein unfaßbares strömendes Drittes dar, im Zwischenraum von Zweien, deren Wirkkräfte der Verbundenheit in jeder Abstandslosigkeit alsbald ersterben?
Welche Gegensätzlichkeit dazu, und wie viel ängstliches Sicherheits-Denken, scheint die Symbolik all dieser Vorhängeschlösser zu bergen, die hoch darüber an das eiserne Geländer gekettet sind. Und was sagt dieses Liebes-Symbol über unsere Zeit und die heutigen Generationen aus? Über das Grundvertrauen ins Dasein und gegenüber den wohlmeinend lenkenden Schicksalsmächten, die vermutlich jeder Mensch intuitiv im eigenen Leben erspüren kann.

Vom Turm des Deutschen Museums aus
Am linken Ufer, etwas in der Ferne, zeichnet sich im Dunst das Europäische Patentamt ab, und, von hier aus betrachtet, scheinbar mittig im Fluß, erhebt sich das Deutsche Museum mit seinem Turm. Wie ein altes Dampfschiff wirkt es, aus einer Zeit, in der man noch an die Möglichkeit der völligen Beherrschung und Unterwerfung der Natur unter die menschliche Willkür, mit den Mitteln der Technik, glaubte. Doch, wie viele andere, ist auch diese Technik-Utopie längst an den Ufern der Zeit gestrandet, obwohl ihr gerade heute so maßlos gehuldigt wird wie nie zuvor.
Und anscheinend halten wir auch an der Illusion, wir könnten den Eros und die Liebe bändigen und unseren Vorstellungen dienstbar machen, wieder mehr fest …
Wie anders hingegen stellt sich uns der Fluß dar, wenn wir uns auf eine Begegnung mit ihm einlassen. Dieser schließt den Kreis im wechselseitigen Geben und Nehmen mit seinen Ufern. Dabei stellt er über seine gesamte Länge auch den Lauf der Zeit wie die Gleichzeitigkeit seiner vermeintlich unwiederbringlich dahingehenden Abschnitte dar. Lichtertrunken, wild und sprudelnd stürzt er quell-nah aus den Himmeln herab. Ruhiger, aber mit zunehmender Kraft, breiter und tiefer bringt er im Wechsel seiner Gezeiten andauernde Veränderung und Neuordnung, Leben und Fruchtbarkeit in die Ebenen. Und er öffnet sich am Ende willig und haltlos dem maßlosen Ozean, mit dem er eins wird, wie die persönliche Liebe in der großen, der All-Liebe.
Nur, besteht der Unterschied zwischen uns Menschen und einem Wassertropfen darin, daß wir auch in der Vereinigung mit dem Göttlichen Ozean unsere Einzigartigkeit bewahren, unsere Individualität eben nicht verlieren. Denn wir sind sowohl mit allem eins wie auch als ewige individuelle Wesen, mit allem verbunden, eine Paradoxie, mit der der 3D-Verstand noch Mühe hat. Und weil wirals ewige Wesen ohne Anfang und ohne Ende sind, also keine Geschöpfe, d.h., niemals erschaffen wurden, sondern schon immer da waren und da sein werden, als Göttliche Ausstrahlungen individuellen Seins, lößen wir uns in dieser Vereinigung auch nicht auf. Unsere Individualität bildet hierbei eine Art Membran, die uns auch im Samadhi als individuelle ewige Wesen fortbestehen läßt.

Und dabei ist der Fluß in jedem Augenblick schon sein Ganzes, von der Quelle bis zur Mündung, wie eine lebendige Beziehung auch, in der es genügend Raum und unverbaute Zeit gibt: für diese Augenblicke, in denen die Zeit der Oberfläche versiegt, gleichgültig, wie viele Jahre die Liebe schon währt.
Diese Sichtweise mag für die eine oder den anderen vielleicht etwas religiös anmuten. Und das ist sie schließlich auch, aber nicht in der Bedeutung des Glaubens, irgendeiner Konfession der letzten Jahrtausende. Sondern in jener der empfundenen Einheit mit der Quelle sowie dem ihr entströmenden Ganzen, in seiner ganzen Sinnhaftigkeit. Was ich spüre, brauche ich nicht zu glauben. Und wenn es nichts zu glauben gibt, brauche ich auch meine Verstandeskräfte und Intuition nicht zu verleugnen, mich nicht innerlich zu spalten. Diese Art der Spiritualität ist ursprünglich – keine Priestermacht paßt da mehr dazwischen –, weil sie aus einer selbst-verständlichen, empathischen Verbundenheit mit allem Sein herrührt, welches – vor allem, wenn wir lieben – mannigfaltig zu uns spricht. Dichter und Poeten wissen ohnehin darum. Somit sind sie, aus meiner Sicht, die eigentlichen Realisten. Denn der Wirklichkeit näher ist eine poetische Weltsicht allemal, als eine, die die Welt als blinde, taube und zufällig vorhandene Verfügungsmasse unseres Nützlichkeitsdenkens betrachtet. Ist nicht allein die Natur das Buch der Bücher? Schon immer gab und gibt es Menschen, die darin lesen. In alter Zeit galten die Flüsse, wie auch Bäume und Berge, als heilig. Man besiedelte Erstere nicht so nah wie heute, denn man wußte ebenso um ihre zerstörerische, wie lebensspendende Kraft, und wollte deren Raum auch nicht beeinträchtigen. Man empfand Respekt vor ihnen und wertschätzte sie.
Stellen nicht ebenso die konfessionellen Religionen einen Ausdruck menschlicher Ängste dar, die sie ihres eigenen Machterhalts wegen auch noch schüren, und des fehlenden Grundvertrauens? Des Bestrebens bei ihren Anhängern, sich die Macht des Göttlichen gewogen zu machen, sie zu kontrollieren und gemäß der eigenen, oft kurzsichtigen Sicherheitsbedürfnisse zu manipulieren? Und womöglich sind sie sogar die ersten totalitären Ideologien überhaupt: mit bedingungslosem Führerkult, absolutem Wahrheitsanspruch, einer gnadenlosen Meinungsdiktatur mit rigoroser Verfolgung oder zumindest dem Ausschluß Andersdenkender und individueller Lebensentwürfe.
Insofern trägt die gesamte moderne Weltordnung die wesentlichen Züge einer Religion, jedoch einer satanischen.
Die Spiritualität hingegen und der Eros sind Freiheitsmächte, Religionen und Ehen eher so eine Art Matrix-Vertrags-Angelegenheit, wobei sich mir bei ersteren durchaus der Eindruck aufdrängt, daß deren Geschäfts-Methoden sogar manch hartgesottenem Versicherungsvertreter noch die Schamesröte ins Gesicht treiben müssten. Wir haben deren Grundannahme nur seit Jahrhunderten so stark verinnerlicht, ebenso wie die Priester, die sie vertreten: daß der Mensch an sich verloren und schlecht sei und nur durch irgendeine Kirche Erlösung finden könne. Das ist doch eigentlich eine Geschäfts-Idee, bei deren näherer Bezeichnung die Auswahl an passenden Adjektive schon ziemlich dünn wird. Dabei braucht der Mensch von nichts erlöst zu werden, denn er ist bereits individuelle Göttlichkeit, und ewiges Wesen. Es genügt, sich des eigenen Lichts wieder zu vergegenwärtigen, und es anzunehmen.
So, wie eng gestrickte eheliche Korsette Anziehung und Liebe zu ersticken drohen, kann eine konfessionelle Religion die eigene Spiritualität zum Absterben bringen. Nicht selten hatte ich während meiner Kindheit im katholischen Niederbayern den Eindruck, daß diese Religion im tiefsten Inneren vor allem Atheisten hervorbringt, die jedoch Zeit Ihres Lebens von der Angst vor der Hölle geplagt werden. Diese Verknüpfung stellt doch eigentlich den spirituellen Supergau dar! Und warum das Ganze? Doch nur, weil deren Dogmen die Menschen zwingt, ihr ur-eigenstes Empfinden zu verleugnen. So schneidet die Religion schlimmstenfalls den Menschen von sich selbst ab, wie der Mensch wiederum den Fluß von seinem angestammten Grund bzw. sich und den Liebespartner vom göttlichen Freiheits-Erbe des eigenen Daseins.
Schwellend kreiseln dunkle Spiegel an den grasbewachsenen Ufern. Rauch umnebelt fichtenduftend fließende Konturen. Ruhige Wirbel lassen Linien tanzen. Das stille Bild: Es bleibt nie stehen.

Ich stehe immer noch am Geländer und blicke in die tanzenden Strömungsmuster des Flusses, der unablässig kommt und geht und bleibt. In ihm versinken die Gedanken und fließen langsam mit ihm weiter. Während neben mir in der grellen Mittagshitze matt und kalt die bunten Schlösser schimmern. Was ich halte, um es nicht zu verlieren, habe ich doch eigentlich schon verloren? Denn durch das Halten büßt es seine Wirklichkeit ein, die nur fließend besteht. So verhält es sich nicht zuletzt auch mit dem sexuellen Begehren. Es speist sich aus dem Verlangen und schwindet in einer statischen und abstandslosen Verbindung, in der jede deutliche Unterscheidung zwischen einem „Ich“ und einem „Du“ verlorengeht.
Wir haben die Flüsse uns ähnlich gemacht: eng, vom Umfeld ihres Seins abgeschnitten, begrenzt, kontrolliert. Und vorhersehbar? Alles Eigene von Anfang an hinwegkanalisiert.
Und wenn dann alles einmal zu viel wird: Dammbruch und schreckliche Verheerung. Müßten denn nicht wir uns zuerst verändern, damit die Flüsse wieder eine Chance erhalten?
Wir könnten so vieles noch von ihnen lernen, hätten wir sie nur nicht schon so sehr nach unserem kranken Bilde umgeschaffen!
Offenbar haben wir uns bereits seit langem daran gewöhnt, mit den Flüssen ganz ähnlich umzugehen wie mit unseren Beziehungen, uns selbst, und unserer Spiritualität. Seit etwa hundert Jahren werden sie begradigt, in ein Korsett aus Beton gesperrt, so durch das Land hindurchgeleitet, das in dieser Weise fortan von ihnen abgetrennt und ‚trocken‘ bleibt. Man staute sie in zahllosen Stufen auf, wo ihr Bett verschlammt, und mißbraucht sie in sogenannten Ausleitungsstrecken zur Energie-Gewinnung. Strom aus Wasserkraft – angeblich nachhaltig und umweltfreundlich… Aber das wirklich erschreckende daran ist, daß uns gar nicht mehr bewußt zu sein scheint, welch immenser und zerstörerischer Verbrauch an natürlichen Landschaften sich damit verbindet. Ansonsten könnten wir in diesem Zusammenhang doch nicht solche Attribute verwenden! Das Ergebnis waren faktisch: Fluß-Leichen, die sich bei länger anhaltendem Starkregen zombihaft, wild aufbäumen und dann um ein vielfaches zerstörerischer verhalten als ihre lebendig intakten Vorfahren, die noch nicht künstlich eingetieft, sondern reich an Altwässern und entsprechenden Überflutungsflächen waren. Sie stellten einen unendlich vielfältigen Kosmos dar.
Es scheint, daß mit jeder Verarmung in der äußeren Welt auch etwas in unserem Inneren einschläft – sich damit gleichfalls unsere Maßstäbe verkürzen und verzerren. Wie das kleine eiserne Vorhängeschloss als empfundenes Ideal der erotischen Beziehung zeigt?
Sind unsere Ehen nicht in ganz ähnlicher Weise zweckorientiert wie der Umgang mit den Flüssen?
Stutzen und reglementieren wir Erstere nicht ebenfalls zurecht, um unseren inneren Haushalt – möglichst gleichmäßig temperiert – mit Energie von außen zu versorgen? Jedoch mit Energie emotionaler Art. So scheinen sie darauf ausgerichtet, an unseren unerfüllt gebliebenen frühkindlichen Verschmelzungsbedürfnissen, selbst im Erwachsenenalter, weiter festhalten zu können. Oder zumindest an der Illusion, daß deren nachhaltige Befriedigung dann überhaupt noch möglich sei. Gleichzeitig findet man nichts Schlimmes daran, die eigenen Kinder schon in der bedeutsamsten Früh-Phase der Bindungs-Prägung von den Müttern fortzureißen und in sogenannten Kitas zu verwahren? Auch hier scheint doch der natürliche Maßstab unser Empfinden beschädigt zu sein? Stattdessen wird eine skeptische Haltung gegenüber dieser Praxis unpassenderweise einer politischen Schublade zugeordnet, als sei die Natur nicht immer ein gutes Vorbild, sondern gelegentlich auch eine reaktionäre Instanz.
Selbstverständlich sind unsere Beziehungen nicht dazu da, diese übersteigerten Verschmelzungs- und Sicherheitsbedürfnisse zu befrieden. Es liegt ohnehin im Wesen der erotischen Liebe, daß sie eine unvorstellbare Fülle mit sich bringt, die unser Dasein immer wieder durchflutet und bereichert. Ein Andermal vertieft sie jedoch auch das Gefühl des inneren Mangels – und zeigt ihn uns dadurch. Aber es ist schließlich immer der eigene Mangel, für den wir nicht das Gegenüber in die Verantwortung nehmen können. Denn die Verantwortung für die persönlichen Gefühle liegt einzig bei uns selbst. Entscheiden wir uns, diese anzunehmen, erwachsen daraus ein kraftvoller Reifeprozeß und ein Zugewinn an Integrität und Würde. Der Konjunktiv des Seins, wie Kurt Tucholsky einmal so trefflich bemerkte. Und dieser Prozeß wiederum beschert eine wachsende innere Unabhängigkeit, die es uns erlaubt, das eiserne Schloß irgendwann einmal zu öffnen, es in den Fluß zu werfen und mit der bzw. dem Liebsten die Liebe und das Leben wirklich zu feiern.

Doch seien wir realistisch: Viele Menschen können nicht einmal mehr ein wenig Stille ertragen oder Tage mit unverplanter Zeit, die zur Innenschau, einer Rückkehr zu sich selbst, einladen würden.
Das permanente Lärm-Bombardement in unseren Kaufläden, Cafés und Medien sowie die unzähligen Freizeitangebote legen hiervon ein beredtes Zeugnis ab. Wie könnte man da also erwarten, daß die Menschen ihr Inneres erforschen möchten – mit neugierigem Blick – um es sich wieder anzueignen?
Begonnen habe das Massen-Phänomen der „Beziehungsschlösser“ vor einigen Jahren in Rom auf den Tiber-Brücken, erzählte mir neulich mein Bekannter Hans Christian. Vor kurzem habe man dort jedoch an einer dieser Brücken alle Schlösser wieder entfernen müssen, da ihr tonnenschweres Gewicht diese bereits zum Einsturz zu bringen drohte.
Welch geniale Erzählung birgt doch dieser erweiterte Symbolkontext „Fluß – Brücke – anwachsende Schlösserlast“! Denn wie der Fluß stellt auch die Brücke ein Beziehungs-Symbol dar, insbesondere für den Aspekt aktiver Pflege und Gestaltung der Verbindung zwischen einem „Ich“ und einem „Du“, wobei hier der Fluß eher für das Trennende, Bedrohliche steht.
Bleiben wir jedoch bei dem sinnbildlichen Zusammenhang dieser Gesamt-Konstellation, äußert sich darin die Bedrohung dieser Beziehung vor allem durch das, wofür die Schlösser stehen.
Doch auf der Brücke, von der ich hinabschaue, ist die Schlösserlast offenbar noch nicht so erdrückend geworden. Die Isar unter mir führt leider immer noch viel zu wenig Wasser. Der weitaus größere Anteil davon wird nach wie vor parallel zum Fluß durch eine öde, gerade Rinne von Kraftwerk zu Kraftwerk durch Turbinen geleitet, die auch noch 90 Prozent aller Fische darin zerhäckseln. Doch in den letzten Jahren wurde die Isar immerhin an manchen Streckenabschnitten innerhalb ihres eigentlichen Bettes wenigstens teilweise renaturiert, bis ins Münchner Stadtgebiet hinein. Man hatte Uferverbauungen entfernt und ihr in unterschiedlicher Weise wieder Geschiebe, also Kies, als Spielmaterial zugeführt. So konnte sie zumindest etwas an eigener Dynamik zurückgewinnen, mit den sie umgebenden Ufern interagieren, mäandern oder Mehrarmigkeit entwickeln. Kurzum: Damit befreite sich zumindest wieder ein Teil ihrer Selbstgestaltungskräfte, anhand derer sich ihr Wesen offenbart.
Vermutlich stünde uns das auch ganz gut an, stärker aus unserem eigenen Sein heraus – und mit diesem – zu fließen, anstatt äußerlich und innerlich fremdbestimmt zu funktionieren. Ohne ein gewisses Maß an Unabhängigkeit können auch schwerlich wirkliche Beziehungen wachsen, ist echte Hingabe nicht möglich. Stattdessen weiterer Selbstverlust und noch mehr Selbstaufgabe, die sich der eigenen Abhängigkeit in Form oft untragbarer Zugeständnisse dann meist mühelos abringen lassen.
Auch in der Natur ist dieses selbstverstärkende Prinzip überall zu beobachten – im Guten wie im Schlechten. Bleiben wir mit einem Beispiel beim Fluß: Hat er sich aufgrund schädlicher menschlicher Regulatorien einmal künstlich eingetieft, was seine Bewegungs- und Selbstgestaltungsfreiheit beschneidet, nimmt diese verhängnisvolle Eintiefung in einer sich immer weiter beschleunigenden und selbstverstärkenden Weise zu.
Auch hier hilft nur gezieltes und entschlossenes Gegensteuern – in diesem Fall durch Aufweitung der Ufer, so daß der Fluss diese wieder angraben und in sie eindringen kann (Seiten-Erosion in der Fachsprache), sich dadurch erneut weitet und aus der engen Spur befreit. Dadurch wird zumindest wieder eine gegenläufige Tendenz ins Spiel gebracht. So kann der Fluß mit der sie umgebenden Landschaft erneut tanzen und die Landschaft mit ihm. Diese Tanzbewegungen folgen einem größtenteils nicht vorhersehbaren Austausch.
Und am Ende noch ein Beispiel aus der Welt menschlicher Beziehungen:
Abgesehen davon ist mir eigentlich nur noch ein Tanz bekannt, bei dem ähnlich wenig formale Einengung und ein solches Höchstmaß an improvisatorischer Freiheit sowie intrinsischer GestaltungsPotenziale innerhalb eines zutiefst innigen Dialogs im Zwischenraum zweier Seiten bestehen. Es ist der Tango vom Rio de la Plata, oft auch als Tango Argentino bezeichnet, was aber den Anteil Uruguays an der Entstehung dieses Tanzes unterschlägt. Und seine korrekte Bezeichnung weist auch schon auf sein Entstehungsgebiet hin – auf die beiden Ufer eines Flusses, kurz bevor dieser ins Meer mündet, genau zwischen Montevideo und Buenos Aires.
Auch der Tango gründet in einer ausgeprägten Zweipoligkeit von Autonomie und Hingabe, wobei ebenso hier erstere die Voraussetzung zweiterer bildet: Er erfordert eine unabhängige Eigenstrukturierung, einen stabilen Stand, eigene Achse und eigenes Gleichgewicht während der fließenden Tanzbewegung. Ohne diese Voraussetzungen verwischt der sonst klar definierte Zwischenraum der tänzerischen Umarmung ganz schnell, welcher jedoch für das Gelingen dieser nonverbalen Real-Kommunikation von größter Bedeutung ist. Die Ufer verschwimmen, lösen sich auf, Achse und eigenes Gleichgewicht gehen verloren, so dass man sich gegenseitig in der Bewegung behindert, und einander schließlich noch mehr aus dem Gleichgewicht bringt.
Ein gut getanzter Tango jedoch erlaubt sowohl ein größtmögliches Maß an Nähe als auch an eigener Bewegungsfreiheit. Er vereint immer beide Pole: Freiheit und Bindung, Autonomie und Hingabe – zwischen einem „Ich“ und einem „Du“. Dadurch verkörpert er ein hohes Beziehungsideal, welches uns mit seinem Potenzial der Gegensatzvereinigung auf übergeordneter Ebene als Leitbild dienen kann.
Warum lernen wir nicht einfach wieder am Fluß, und mit dem Fluß in uns, und endlich auch miteinander … zu tanzen?
Öffnen wir die Schlösser, werfen die Schlüssel und sie in die Strömung, wagen wir die Freiheit, und tanzen mit dem Dämon unserer Angst, um ihn zu erlösen.
Denn er besteht aus nichts … als ungelebter Liebe und vermiedenem Leben.
© Ralf Sartori
Ein Tanz der ungehaltenen Kinder / Tango als idealtypischer Beziehungstanz, sowie zugleich Turbo-Spiegel all unserer Beziehungsthemen
Beziehungsthemen sind re-inszenierte frühkindliche Bindungstrauma-Themen
Tango wird immer wieder als erotischster aller Paartänze bezeichnet, allerdings in der üblichen Verkürzung des Begriffes „Eros“ auf den Aspekt der sexuellen Anziehung. So banal und schablonenhaft wird er zumeist vermarktet, doch vor allem, durch diese ihm angedichtete Oberfläche, eine ganze Reihe beliebiger Konsum-Artikel.
Möglicherweise sind die wesentlichen Alleinstellungs-Merkmale des Tango vom Rio de la Plata jedoch ganz andere, als worauf das ihm übergeworfene Sex-sells-Kostüm verweisen möchte. Denn „Tango“ – in seinem tänzerischen Aspekt – bedeutet vor allem, miteinander zu gehen und das Wie dazu fortlaufend fließend gemeinsam zu improvisieren, im achtsamen Dialog und Wechselspiel zwischen den Rollen von Führen und Folgen. Dabei geht es fortwährend um Bewegungs-Synchronisation, auf der Grundlage einer hoch komplexen Vielfalt an Möglichkeiten, in einer innigen und tragfähig stabilen Umarmung.
Wirkt da also der sexuell-erotische Aspekt des Tango nicht etwas überbetont? Und vielleicht kommt – neben der großen Faszination für den Tanz und diese Musik an sich – in einer immer urbaner werdenden Gesellschaft, in der Vereinzelung, Einsamkeit, soziale Verwahrlosung und sozialer Stress gleichermaßen voranschreiten, dem Bedürfnis nach menschlicher Berührung, achtsamer Zuwendung und einer innigen, tragfähigen und stabilen Umarmung eine weitaus höhere Priorität zu? Ein Bedürfnis und eine Sehnsucht, die dieser Tanz fraglos an ganz zentraler Stelle beantwortet.
Auch in jeder menschlichen Biografie geht es, entwicklungsgeschichtlich, erst einmal um Berührung und Umarmung, um Zuwendung und Geborgenheit, ein sicheres Gehaltenwerden in dieser Welt, sowie um fortwährende Vergewisserung der weiteren Verbundenheit, nach dem Verlust der vorgeburtlichen Einheit im Mutterleib. Und noch nicht um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Doch nicht selten ist diese für unser gesamtes Leben so bestimmende Phase mehr oder weniger von Mangel, Zurückweisung und Verunsicherung durchzogen, da der Mensch – mittlerweile auch der weibliche – als Ware und Objekt im System der Künstlichen Matrix schnell wieder in dieses eingegliedert zu werden hat, sowie als Steuerzahlerin.
Dem entwicklungspsychologisch so überaus bedeutsamen Zeitraum der ersten Jahre des Kindes im innigen Kontakt mit seiner Mutter einen höheren Stellenwert einzuräumen, ist da nicht mehr erwünscht. Starke, sich selbst ermächtigende Individuen, die ihr Vertrauen ins Leben entwickeln konnten und gelernt haben, aus ihrer inneren Mitte, Herzensanbindung, intuitiver Führung und eigenen Kraft heraus zu leben, sind ja nicht instrumentalisier- und steuerbar. So greift auch auf gesellschaftlicher Ebene längst eine entsprechende Konditionierung durch Medien-Propaganda, gegen die Annahme der Mutterrolle seitens der Frau. Die Wertschätzung dafür wird meist schon reflexhaft als politisch rechts, reaktionär, konservativ und rückwärts gewandt eingestuft. Als emanzipationsfeindlich gar. Doch ist sie das? Oder hinterfragt diese Forderung – die ja nur den biologischen und bindungspsychologischen Gegebenheiten des Menschen Rechnung trägt – nicht lediglich den neoliberalen, mittlerweile schon neo-feudalistischen Global-Kapitalismus unserer Tage?
Wir erleben es ja unlängst, seit der Mikrobenkrise, im Zuge einer immer breiten Themenskala, daß die Machtmißbraucher des Systems ganz pauschal gegegüber Kritikern die rhetorische Generalkeule nach der Devise herausholen: Wird der Bürger unbequem, gilt er gleich als rechtsextrem. Andere Meinungen sind nicht mehr nur nicht erwünscht, sie werden mittlerweile hart und repressiv sanktioniert.
Doch zurück zum eigentlichen Thema: Wäre es da nicht viel eher im Sinne der Emanzipation, nicht nur jener der Frau, sondern des Menschen an sich, gegenüber ihn fremdbestimmender Systeme, Familien in einer Weise finanziell zu unterstützen, daß sie ihr Leben selbstbestimmter, nicht durch finanziellen Druck oder gesellschaftliche Erwartung bis handfeste Repression genötigt führen können?
Doch wenden wir uns wieder den Kindern zu, die, als schwächste Wesen des Kollektivs, dem Systemdruck am unmenschlichsten ausgesetzt sind und in vielerlei Hinsicht ganz essenziell zu kurz kommen: Der Psychoanalytiker Daniel Stern beobachtete die Interaktionen zwischen Säugling und Mutter und beschrieb sie in seinem Werk „Mutter und Kind – Die erste Beziehung“. Darin nannte er sie einen Tanz und sprach dabei auch von den „falschen Schritten“. „Die frühen Prägungen des ersten Lebensjahres entstanden in der `Choreografie´ zwischen Mutter und Kind, den ersten Aufführungen des salutogenetischen Quartetts aus Präsenz, Nähe, Umarmung und Bewegung, bei denen es um Hunger, Sättigung, Berührung, Unwohlsein, Beglückung und gemeinsames Schwingen ging.
Neben der intimen sexuellen Begegnung berührt vielleicht nur der Tango diese frühen existenziellen, beglückenden und verstörenden Choreografien. Letztere suchen in vergleichbaren Dynamiken nach Heilung; sie können Paare zur Verzweiflung bringen und im Extremfall die Partnerschaft sprengen. Je nach dem, aus welcher Tiefe der `biologisch angelegten Choreografie´ unsere Verstörungen und Herausforderungen kommen, brauchen Lösungen Beharrlichkeit und Zeit und hier und da auch noch ganz andere Hilfen, als sie im Tango zu finden sind. So der Tango- und Paartherapeut Johannes Feuerbach in Band drei meiner Reihe „Tango Global“.
In diesen Ausführungen klingt bereits das einzel- und paartherapeutische Potenzial des Tango an. In jedem Fall aber geht es in diesem Tanz um Präsenz, Nähe, Umarmung und Bewegung, darum, in einem nonverbalen und konstant aufmerksamen Dialog miteinander zu schwingen und sich als Paar in Einklang zu bringen – bei gleichzeitiger Wahrung und Stärkung der individuellen Autonomie beider Teilhabenden. Wenden sich also manche, vielleicht auch erst einmal unbewußt, dem Tango zu, weil es darin genau um diese Qualitäten geht, die sie in ihrer Kindheit schmerzlich entbehrten und die er uns so großzügig beschert? In wechselnden Umarmungen mit unbekannten Menschen. Und ohne daß es dafür einer festen Zweierbeziehung bedarf. Es muß also bei der nach wie vor wachsenden Hinwendung zum Tango keineswegs vorrangig um ein sexuell-erotisches Momentum gehen, wie uns Werbung und öffentliche Verdummungs-Medien gerne suggerieren möchten.
Kinder, die nicht lange genug gehalten und gestillt wurden von ihren Müttern, im innigen Kontakt, und dadurch keine, oder zu wenig Bindungs-Sicherheit, Geborgenheit und Ur-Vertrauen in dieser Matrix aufbauen konnten, haben oft, auch später noch, keinen Halt in sich zu finden gelernt – oder nur unter großen Erschwernissen, oder durch eine Reihe schwerer Unfälle auf dem eigenen Lebensweg. Denn nichts trägt mehr im Leben, wo sich für uns die erste Beziehung überhaupt als nicht tragfähig – bindungssicher – erwiesen hat. Nicht umsonst wird die Mutter-Kind-Beziehung als Primärbeziehung bezeichnet, in der uns zum ersten Mal, und von Anfang an, identitätsstiftend Liebe, Selbstwert und Sicherheit gespiegelt werden – oder eben auch nicht… Sie ist bestimmend für all unsere weiteren Beziehungen.
Wo diese Bindungssicherheit sich nicht in natürlicher Weise als Kontinuum im Inneren entfalten und aufbauen kann, entsteht Bindungsangst und -Unfähigkeit auf der einen, und zugleich extreme Bindungsbedürftigkeit, Verschmelzungssucht und panische Verlustangst auf der anderen Seite. Ein Dilemma, das viele solcher Menschen später unter großem innerem Spannungs-Druck von einer Beziehung zur nächsten jagen läßt – oder auch zum Tango führt, da es dort weniger als Konflikt erfahren zu werden braucht.
Bindungsangst, da Bindung, die jedes Kind so dringend wie die physische Nahrung benötigt, immer wieder als ein unsicheres und brüchiges Gut erfahren wurde, verbunden mit dem wiederholten und traumatisierenden Schmerz von Verunsicherung und Verlusterfahrung. Ein kleines Kind lebt im Jetzt, es hat noch keinen oder keinen ausgeprägten Zeitsinn. So kommt eine jede dieser Diskontinuitäten einem Empfinden endgültigen und daher lebensbedrohlichen Verlustes und Ausgestoßenseins gleich. Dadurch gehen Bindung und Verlustschmerz in dieser prägungsintensivsten Phase des Säuglings- bis Kleinkindalters eine Koppelung ein, die dann eins zu eins ins Erwachsenenleben übernommen wird. Der innere Satz dafür lautet: „Mich einzulassen ist immer damit verbunden, wieder in unerträglicher Weise verletzt und verlassen zu werden“. Diesem Potenzial größter Not und Abhängigkeit haftet weiterhin eine nicht mehr altersgemäße Unerträglichkeit an, und deshalb auch etwas Demütigendes. Denn wer möchte sich schon so fühlen müssen, und das auch noch als Erwachsener? So werden diese Empfindungsbereiche in vielerlei Weise immer wieder zurückgedrängt und kompensiert. Zum Beispiel, indem wir uns auf gar keine Beziehungen mehr einlassen, im künstlich erhöhenden Gestus einer Pseudo-Autonomie, um das Leid nicht mehr zu empfinden, oder wir stürzen uns Mal um Mal mit Haut und Haar hinein, befeuert von dem unersättlichen Hunger des nicht sattgewordenen Kindes nach totaler Symbiose.
Natürlich scheitert dann eine jede dieser Verbindungen, da man in keiner Erwachsenenbeziehung das einmal in der Kindheit versäumte und vermißte nachholen kann. Jedenfalls können Heilung und Nach-Entfaltung nicht auf dieser Ebene und in derselben Weise stattfinden. Doch das reflexhaft anklammernde Streben des verletzten Kindes im Erwachsenen gehorcht auf Dauer weder einer noch so gut gemeinten und disziplinierenden Willensanspannung, noch der Selbstreflexion. Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange wir in Nähe-Situationen Unsicherheit und Schmerz ertragen können, bis wir einknicken. Einzuknicken könnte beispielsweise bedeuten: Übertriebene Fixierung auf den Partner, maßloses Einfordern an Beziehungs-Maximalitäten, übertriebene Eifersucht, einhergehend mit Kontrollsucht et cetera.
Denn jede spätere Liebesbeziehung triggert unser traumatisiertes Beziehungserleben auf frühkindlicher Ebene (hat eine auslösende Funktion). Da hilft es auch nur bedingt – etwa wie ein Aspirin bei übermächtigem Wundschmerz – sich zu sagen, dass all diese reinszenierten Empfindungen nur endlose Wiederholungen des alten Kindheits-Traumaschmerzes sind, und heute ja gar nicht mehr so schlimm wie damals.
Es hilft auch nicht allein, ihnen immer wieder das Etikett der Als-ob-Gefühle umzuhängen. Als-ob-Gefühle, da wir heute ja schließlich erwachsen sind und nicht mehr so entsetzlich angewiesen auf symbiotische innige Nähe und Bindungssicherheit wie damals als Kleinkind.
Doch ist das wirklich so? Haben sich im Inneren nicht dieselben Befindlichkeiten der Verlassenheit und der Verlorenheit und daher chronischer Beunruhigung, einer Dauer-Anspannung, erhalten und konserviert, die dieses verletzte innere Kind in uns zwanghaft immer weiter suchen lassen – nach einem erlösenden Gegenüber?
Von dem jüdischen Religions-Philosophen Martin Buber stammt der Satz: „Das Ich wird am Du zum Ich und das Du wird am Ich zum Du“. Wie mehr noch trifft das auf die kindliche Entwicklung innerhalb der mütterlichen Primärbeziehung zu. Wo sich ein Kind nicht in geborgener Weise in diesem steten Beziehungsgeschehen stockungsfrei fließend seines Ichs vergewissern kann, bleibt ihm auch dieses Ich stets als etwas zutiefst Ungewisses. Denn alles hat seine Zeit. Prozesse, die zu der ihnen angemessenen, weil zugedachten Zeit beschnitten werden oder ins Stocken geraten, haben es schwer, in eine spätere Nach-Entfaltung überführt zu werden. Demnach hat ein solches Kind – auch später als Erwachsener – in der Regel nicht so etwas wie eine gute und stabile Selbstgewißheit. Es sucht nicht nur suchthaft ewig weiter das rettende Du, sondern dabei immer auch sich selbst in diesem, wie ein verfluchter Geist, der – gleich jenem in der Sage des Fliegenden Holländer – auf ewig die Meere des Daseins in seinem Geisterschiff befahren muß, bis er Erlösung erlangt. Ein entsprechendes frühkindliches Trauma kann auch zur Flucht in ein esoterisch verbrämtes Denk- und Such-Schema führen, wie, daß es ja nur dieser einen, einzigartigen Dualseele, diese irgendwann zu finden, bedarf, damit alles gut werden kann. Ein seelisch sehr kreativer Dreh, um eine als unlösbar empfundene Qual an ein höheres Schicksal zu deligieren und dadurch eine Hoffnung auf Erlösung aufzuspannen – nur leider eine weitgehend illusionäre.
Die beschriebenen traumatisierenden Kindheits-Erlebnisse führten nicht nur dazu, daß unser Selbstgefühl eine Grundschwächung in sich trägt, sondern daß es uns innerlich förmlich zerfetzt und zerlegt hat, ganze Teile, Wesensaspekte, oder Teilpersönlichkeiten, wie wir sie auch nennen, dabei aus unserem Bewußtsein abgespalten, diese anästhesiert wurden. Was sie jedoch keineswegs davon abhält, aus unserem Unterbewußtsein heraus bedürftig-suchthafte bzw. panische Handlungs-Impulse zu setzen. Das betrifft Bereiche unseres Selbst, die der traumatisierenden Verletzung zentral ausgesetzt, von ihr direkt betroffen waren. Das Phänomen des Trauma läßt sich am besten beschreiben mit dem Satz: „Das ist so furchtbar, daß ich es nicht mehr aushalten kann, es kann also gar nicht sein, dass mir das wirklich passiert, beziehungsweise passiert ist.“
Erwachsene, die ein solches frühkindliches Bindungstrauma erlebt hatten und das Entbehrte immer weiter suchthaft in jeder Beziehung zu suchen verurteilt sind, befinden sich in einem tragischen Dilemma. Denn sie suchen nach Erlösung und Heilung in jeder Beziehung, sind dabei aber innerlich gar nicht in der Lage, Bindungen einzugehen. Oder sie klammern sich so sehr an den Partner, daß sie dadurch auch selbst jegliche Bewegungsfreiheit einbüßen, und sich schließlich mittels Trennung oder einem weiteren Beziehungswechsel zu befreien suchen.
Dieses Dilemma ist per se unerträglich. Daher werden – wie mit der Dualseelen-Idee – gerne Strategien entwickelt, um es aus dem eigenen Bewußtsein auszublenden, wie zum Beispiel: „Bei dieser Frau, bei diesem Mann, ist nun alles anders als bisher. Auf sie oder ihn kann ich mich nun wirklich einlassen, weil dieser Partner endlich der Richtige ist. Doch letztlich scheitert auch diese Beziehung wieder an einer der Krisen, die Beziehungen naturgemäß früher oder später immer mit sich bringen. Denn um Streßtoleranz sowie die Fähigkeit ein Wenig loslassen, Unebenheiten mal gerade sein zu lassen und nicht immer nur das Absolute einzufordern, Unsicherheiten aushalten zu können, bzw. als Chance zu be- und ergreifen, ist es bei traumatisierten Kindern in Erwachsenengestalt normalerweise nicht zum Besten bestellt.
Und weil keine Beziehung je das erfüllen kann, was ein solches Kind in seiner ersten Lebenszeit entbehren mußte, als es das existentiell gebraucht hätte, kann auch keine spätere Erwachsenenbeziehung unter diesem Vorzeichen bestehen bleiben – auch nicht, wenn beide dasselbe wollen. So ein Kind ist verurteilt, suchthaft weiterzusuchen. Und hier sei in diesem Zusammenhang einmal erwähnt, daß Sucht, nicht wie in der Literatur so oft verknüpft, etwas mit Suche zu tun hat. Sondern mit Siechen! Denn der Begriff „Sucht“ leitet sich vom alten deutschen Wort „Siechen bzw. Siechtum“ ab.
Solche Kinder neigen dazu, jede Beziehung früher oder später zu verlassen, meist aber erst, wenn sie sich neu verlieben – und somit ein neues Subjekt maximaler Erfüllungsprojektion – ausfindig gemacht, und für sich eingenommen haben.
Es war bereits die Rede vom Grund-Dilemma zwischen Verschmelzungssucht und Bindungs-Unfähigkeit. Für ein solches Kind ist es schwer, sich dieses einzugestehen, aber noch viel schwerer, es auch dem Partner, der Partnerin zu enthüllen, wenn es sich dessen erst einmal bewußt geworden ist. Denn dadurch würde genau dieses Muster unterbrochen, weil verunmöglicht werden, nicht zuletzt durch die Partnerin, den Partner selbst. Denn das Muster lautet: „Du bist meine große, absolute Liebe, mit der ich für immer bleiben will, solange, bis ich eben aus meiner Sicht wieder etwas Besseres gefunden habe. Besser, weil ich dann die Erfüllung des Unerfüllbaren, an das ich scheinbar unlösbar gekettet bleibe, wieder auf jemanden anderes, Neues, projizieren kann, bei der, dem der Lack der Ideal-Erwartung noch unbeschadet ist. Bis dahin tue ich alles, damit mein Partner mich nicht verläßt, bzw. nicht an meiner Beziehungsfähigkeit zweifelt.“ Würde man diesen Verhaltenszwang dem Partner, der Partnerin offenbaren, wäre das vermutlich mit dessen Distanzierung oder dem Ende der Beziehung verbunden. Oder wenn nicht, vielleicht, weil diese Partnerin ein Mensch ist, der aufgrund eigener Muster, eigener Bindungsunfähigkeit womöglich, ganz einfach auf schier unlösbar Aufgaben steht, so wäre zumindest damit unser Selbstbildnis innerhalb der Beziehung, als das des Großen Liebenden beschädigt. Was auch deshalb schwer auszuhalten wäre, da wir als genau die Person wahrgenommen würden, die wir in Wirklichkeit darstellen, mit all ihren Verletzungen und Beschädigungen. Und letztlich als genau die Person, die in Wirklichkeit gar nicht lieben kann – selbst wenn sie sie, die Liebe, ja so innig empfindet im Inneren wie die Wenigsten – und früher oder später einfach wegrennt, zu der, dem nächsten eben … Als so jemand will wirklich niemand wahrgenommen werden! Und da das eigene suchthafte Muster so existentiell notwendig ist, um überhaupt weiterleben zu können (und das ist wörtlich zu verstehen), wollen wir es auch um keinen Preis enthüllen, lernen, in unseren Beziehungen zu täuschen und zu manipulieren. Denn dies ist eine erlernte Strategie der Selbst- und Fremdtäuschung, die uns vor dem unerträglichen Schmerz fortwährender Folterqualen zumindest zeitweise ein wenig schützt. Vergleichbar vielleicht mit der Beschaffungs-Kriminalität von Junkies, Heroinabhängigen, die oftmals einen ganz ähnlichen Traumatisierungs-Hintergrund in der Kindheit aufweisen. Dies berührt auch den Aspekt der eigenen Menschen-Würde ganz zentral. Denn, wenn uns innere Qualen fortwährend korrumpieren, da sie unerträglich sind, ist dadurch die Möglichkeit, Würde und Integrität zu entwickeln in der Regel von Kindheit an beschädigt.
Michaela Huber, eine Deutschlands führender Trauma-Therapeutinnen, spricht in Zusammenhang mit traumatisierten Menschen von „Überlebenden“. Ein Begriff, der ihnen Anerkennung zollt und sie dadurch wieder in den Stand einer gewissen Würde versetzt, die auszubilden ihnen durch ihre Kindheit hindurch erschwert wurde, bis verwehrt geblieben ist: einer Würde des Erleidenden grausamer Umstände, derer es sich nicht erwehren konnte.
Und es geht bei diesem Bindungstrauma nicht nur um symbiotische Nähe-Sucht, sondern auch um die entwicklungsbedingte Erschwernis oder Unfähigkeit, die beiden Pole „Bindung und Exploration“, also Freiheit und Autonomie auf der anderen Seite, zu vereinen. Denn ein Kind benötigt zuerst eine stabile Bindung, als sicheren Pol, von dem aus es die Welt, sich von der Bezugsperson immer wieder entfernend, nach und nach, in immer weiteren Kreisen, entdecken kann. Als Kind kann man nur in dieser Weise „Bindung“ als befreiend erleben, sofern dann ebenso die notwendigen Freiräume gewährt werden. Und so ein Kind wird auch in seinem Erwachsenenleben Freiheit und Bindung leichter vereinen können.
Natürlich ist für die menschliche Bindungsprägung nicht nur die „Mutter-Kind-Beziehung“ entscheidend, sondern das gesamte familiäre Umfeld, insbesondere die Eltern-Beziehung, bedeutsam für die Ausprägung seines inneren Bindungs-Systems. Dennoch bleibt die Mutter die zentrale Person dabei, da wir aus ihr, durch sie hindurch, in die Welt gelangen sind, und sie Sicherheit und Geborgenheit im besten Falle solange aufrecht erhält, bis das Kind nach und nach von sich aus losläßt, weil es schließlich die Welt entdecken möchte und dabei ein wachsendes Maß an Freiheit und Selbstständigkeit beansprucht. Bindungssicherheit ist also Bedingung auch für Freiheitsfähigkeit. Eine Grund-Polarität, die ebenfalls der Tango an ganz zentraler Stelle einfordert. Denn er tanzt nach der Devise: Immer das Maximale, in diesem Falle die größtmögliche Nähe, in Verbindung zugleich mit der größtmöglichen Bewegungsfreiheit.
Kommen wir nun noch zur zweiten Bedeutung des Begriffsbildes von „ungehalten sein“: Denn ein weiterer Punkt ist, daß wir als Kinder lernen mußten, die berechtigte Wut, den Zorn gegen die Mutter, die daher rühren, daß wir uns von ihr im Stich gelassen fühlten, zu verdrängen, da ein Kind gar keine Wahl hat; es muß die Mutter lieben. Denn es hat in der Regel keine andere! Außer es wächst vielleicht bei der Oma auf. Aber dann muß es eben aus demselben Grunde die Oma als Mutter lieben. Diese verdrängte Wut ist, aufgrund des mit ihr verbundenen schwerwiegenden Dilemmas, existentiell zerstörerisch. Eine Strategie, später damit umzugehen ist zum Beispiel Krankheit, in Form zum Beispiel einer auto-immunen Erkrankung, in welcher diese Wut gegen uns selbst kanalisiert wird, als Auto-Agression. Das heißt nicht, daß wir später Autos demolieren. Das wäre noch eine gesündere, weil zumindest mehr nach außen gerichtete Form aggressiven Verhaltens. Es bedeutet vielmehr, dass sich der eigene Organismus selbst zerstört, in Form einer auto-immunen Abwehr-Reaktion. Wir lehnen also nicht unsere Mutter ab, sondern uns selbst. Denn wir sind wohl einfach nicht liebenswert genug gewesen, wenn die Mutter nicht für uns da sein wollte. Es kann also gar nicht ihre Schuld gewesen sein, sondern eigentlich nur unsere eigene. Diese auto-immune Abwehr-Reaktion drückt sich darin aus, daß das Immunsystem, das normalerweise dazu da ist, schädliche Eindringlinge abzuwehren, sich gegen den eigenen Körper, mit seinen Organen, wendet, diesen angreift und manchmal sogar zerstört. Verblüffenderweise scheint diese Strategie leichter zu fallen und sich in der Kindheit psychisch weniger zerstörerisch anzufühlen, als die Mutter bzw. die Eltern als nicht liebende, fürsorgliche Eltern wahrnehmen zu müssen.
Krankheit, wenn auch eine noch so zerstörerische, als seelische Entlastung! Welch ein klares und eindringliches Bild!
Allerdings möchte ich vor dem Umkehrschluß warnen, daß eine Auto-Immun-Erkrankung automatisch darauf schließen läßt, daß unsere Mutter während der Kindheit nicht genügend für uns da war. Denn eine solch hoch komplexe Erkrankung stellt immer ein multifaktorielles Geschehen dar, wie auch jegliche innerseelischen Vorgänge.
Und Auto-Aggression kann sich auch in Drogenproblematiken und anderem selbstzerstörischen Verhaltensmustern, auch subtilerer Art, äußern. Nebenbei bemerkt möchte ich dringend davon abraten, als Erwachsene diese Wut gegen unsere alten Eltern zu richten, die in der Kindheit noch als unmittelbarer emotionaler Ausdruck angebracht gewesen wäre. Als Erwachsene sind wir jedoch auf ihre Zuwendung nicht mehr angewiesen und auch zu der Einsicht fähig, daß sie sich damals vielleicht gar nicht anders verhalten konnten. Denn Bindungs-Traumatas sind meist transgenerationale Themen, die von einer Generation zur nächsten weitergereicht werden. Allemal heilsamer und wertvoller erscheint es mir, das vorhandene Potenzial an Liebe und Verbundenheit mit unseren Eltern zu wahren und weiter zu vertiefen, wenn wir in der glücklichen Lage sind, daß sie noch leben.
Wenn sich ein guter Selbstbezug, Selbstliebe und Selbstfürsorge in der Kindheit nicht ausreichend entwickeln konnten, entsteht chronischer innerer Streß, ein permanenter psychischer Überdruck, der sich später vielleicht in scheinbarer Extrovertheit, mit den bekannten ADHS-Symptomen, äußern kann. Eine andere psychische Strategie bildet die des inneren Rückzugs, welche in der Kindheit zu Außenseitertum und sozialer Isolation führt. Doch immer steht im Zentrum beider Strategien ein höchst bedürftiges und unsicheres „Ich“; das innerlich schwimmt und sich deshalb fürchtet, in Kontakt zu gehen oder sich gar auf andere einzulassen. Hier kommt neben dem chronischen inneren Stress noch der soziale Streß hinzu. Jener äußert sich in der Kombination aus sozialen Zumutungen, insbesondere unter der Bedingung ihrer Dichte, des massiven Tangiertseins durch andere, deren fehlenden Steuerbarkeit (wie üblicherweise in der Schule, später am Arbeitsplatz oder ganz generell in der Enge des modernen Großstadt-Lebens) und des sozialen Ausgeschlossenseins zugleich. Bindungsgestörte Menschen sind für diese potenzielle Streßfalle prädestiniert und ihr ganz besonders ungeschützt ausgeliefert.
Wenn wir nun das ganze Leidensspektrum einmal versuchen typologisch zusammenzufassen, haben wir es mit Menschen zu tun, die unter großem inneren Streß stehen und sich kaum davon entlasten können, da ihnen häufig ein guter Selbstbezug fehlt und sie dadurch auch schwer Heilung und Erfüllung in Beziehung mit anderen Menschen finden. Häufig sind sie unsicher, verschlossen, aber voller Sehnsucht nach Nähe und Verbindung. Aufgrund ihrer quälenden Defizite bevorzugen sie ohnehin die Zweier-Beziehung. Und hier setzt der Tango an, als Therapeutikum, aber auch als weitere mögliche Droge. Denn er bietet auf einfachem Wege Berührung und Intimität, ohne den üblichen Weg der Kontaktfindung, sowie große sensitive Nähe ohne jede Verbindlichkeit.
Doch er setzt als Tanz dem Verschmelzungsdrang die Forderung nach eigener Struktur, eigenem Stand, eigener Achse und dynamischen Gleichgewicht entgegen, und bietet dadurch Anregung, diese Qualitäten auch im Leben außerhalb der Tanzfläche zu entwickeln, indem man sie ganz grundsätzlich in sich selbst kultiviert und fördert.
Selbst, wenn Sexsucht, ebenso wie Eß-Störungen und selbstschädigender Drogenkunsum kompensative Strategien bei Bindungs-Störungen darstellen und der Tango bestimmt auch ein ergiebiges Jagd-Revier für Sex-Süchtige darstellen kann, geht aus meiner mehr als fünfunddreißigjährigen Erfahrung als Tangolehrer, und als Paarberater, von der innigen Umarmung dieses Tanzes die größte und glücksverheißende Anziehung aus. Er zieht auffallend viele einzelgängerische und kontaktarme Menschen mit einer melancholischen Grundgestimmtheit an, die es andernfalls schwer hätten, mit ihren Mitmenschen überhaupt Verbindung und Nähe zu finden. Aber dieser Typus eignet sich wohl weniger für die Werbung und zur Bedürfnis-Weckung im kommerziellen Kontext als der stets bemüht Latin-Tango-Lover und sein weibliches Pendant.
Denn ein Tango-Marken-Image des Beziehungskrüppels kommt irgendwie nicht wirklich gut rüber beim manipulativen Spiel der Produkt-Identifikation.
Warum nehmen wir eigentlich die Not unserer Kinder nicht endlich mal ernst, wenn sie verzweifeln? Warum hören wir sie nicht, wenn sie schreien, glauben lieber dubiosen Erziehungsratgebern?
Können wir sie nicht fühlen, weil wir so gut gelernt haben, das eigene Leid auszublenden, um irgendwie zu überleben?
Manche, denen der Weg dazu noch offen steht, könnten mit ihren Kindern heil werden, anstatt sie krank zu machen.
© Ralf Sartori
Beziehung – ein ewiger Seiltanz
„Beziehung ist doch ein ewiger Seiltanz“, meinte neulich eine alte Bekannte beim Tango, und: „Man kann diesen vermutlich lernen oder eine tote Zweierbeziehung leben wie die meisten…“ und brach in ein freudloses Gelächter aus, bemüht amüsiert über den schönen Widerspruch in ihrem letzten Satz. „Doch Tango und Beziehung, das klappt auf Dauer ja sowieso nicht“, fügte sie hinzu. „Entweder du klebst die ganze Zeit nur aneinander oder drehst vor Unruhe und Eifersucht halb durch… und dann, wenn´s kompliziert wird, nach einer Weile, kommen die endlosen Diskussionen, warum das Tanzen miteinander nicht mehr geht, oder zumindest keinen Spaß mehr macht, es sich dann ab einem bestimmten Punkt so nach dem ewig Gleichen anfühlt. Weißt du, mein Jetziger kann zum Glück mit Tango überhaupt nichts anfangen, versteht das auch irgendwie nicht, warum ich da so oft hin will. Aber er läßt mich zum Glück, und macht mir keinen Stress damit.
Eigentlich bin ich ja ganz froh in meiner momentanen Beziehung und daß ich diese Freiheit habe. Doch dann denk ich mir schon immer wieder, gerade in diesen innig empfundenen Momenten, die man gar nicht so selten ganz unerwartet mit wildfremden Männern plötzlich auf der Tanzfläche teilt, mit denen man noch nicht einmal ein Wort gewechselt, sondern sich nur über den Cabeceo (gesprochen Kabeséo) für die Piste verabredet hat: Warum kann man das so schwer festhalten in einer Beziehung.“
Der Cabeceo ist die in Buenos Aires traditionell und auch heute noch übliche Form, sich wortlos zu einer Tanda zu verabreden, einem Set von drei bis fünf Musikstücken eines bestimmten Orchesters. Man sucht dabei den Blickkontakt mit einer Person, mit der man gerne tanzen möchte. Wenn dieser erwidert, gehalten, und die damit verbundene Frage mit einem leichten Nicken bejaht wird, stehen beide auf und man trifft sich daraufhin am Rande Tanzfläche, um sich zu umarmen und dann schweigend in den Fluß der Musik, und der anderen Tanzpaare einzutauchen. Der Cabeceo stellt eine besonders taktvolle Form der Tanzeinladung dar, weil sie der in dieser Weise aufgeforderten Person jegliche Freiheit gewährt, sich so zu geben, als hätte sie den Blick gar nicht bemerkt. Dadurch mutet man niemanden zu, eine Aufforderung verbal abzulehnen oder sie nur aus reiner Höflichkeit oder aufgrund der Hemmung, nein zu sagen, anzunehmen.
In der Tat: Beziehung ist ein ewiger Seiltanz, vor allem, wenn beide Tango tanzen. Denn es geht in diesem Tanz an zentraler Stelle um die Themenfelder „Nähe und Distanz“, „Ich und Du, in einem ebenso dynamischen Wir“, doch vor allem „Bewegungsfreiheit und Bindungs-Sicherheit – im konkret tanztechnischen, wie auch im übertragenen Sinne.
Tango erfordert stets, also auch hier, beide Seiten zu stärken und im Tanz zu vereinen.
Im Leben, außerhalb einer geschlossenen Paar-Umarmung während einiger Tänze, sind wir in noch in anderer Weise – oft weniger simultan – mit den Polen „Freiheit und Bindung“, im Sinne von „Nähe und Distanz“, „Festhalten und Loslassen“, konfrontiert. Dasselbe gilt jedoch auch, wenn wir uns im Tango-Milieu, auf den Milongas, den Tangotanz-Abenden, bewegen, in denen häufige tänzerische Partnerwechsel die Regel bilden. Denn bedenken wir, daß Tango ein nonverbales Gespräch darstellt, macht es schließlich auch keinen Sinn, verbal immer nur mit einer Person zu kommunizieren. Dieser naheliegende Vergleich spricht bereits für sich: Wie langweilig wäre das bald für beide Seiten, ohne sich auch mit anderen Menschen auszutauschen. Die Beziehung würde veröden, da es an Anstößen, Ideen, Möglichkeiten und Erfahrungen von außen fehlt. Ihr Erstickungstod wäre ohne diese Durchlässigkeit in beiden Richtungen besiegelt. Man würde sich im immer gleichen, nur enger werdenden Kreise drehen und schließlich in völliger Stagnation enden. So kann es sich auch mit dem Tango darstellen, wenn wir immer nur mit ein und demselben Partner tanzen.
Nun ist das stete Ausbalancieren von „Freiheit und Bindung“ ja im normalen Leben schon keine Kleinigkeit, um wieviel herausfordernder noch stellt sich uns das dann in diesem Tanz dar: Denn dieser ist sehr sensitiv und verlangt nach einem gleichbleibenden innigen und direkten Körperkontakt über den Brustkorb. Insofern weckt und verstärkt er auch etwaige Anziehungskräfte, denen man ansonsten weniger ausgesetzt wäre, würde man nicht Tango tanzen. Eine andere Herausforderung – im Leben wie auch während solcher Tanzabende – ist das der „Ungleichzeitigkeit“. Oft möchte ein Partner mehr Paar-Exklusivität, während dem anderen vielleicht gerade nach einem höheren Maß an Außenorientierung zumute ist.
Und nicht zuletzt verstärkt die eine Tendenz dann in der Regel auch noch die andere beim Partner, so daß es zu einer Polarisierung auf Paar-Ebene kommen kann, wenn es uns nicht gelingt, über unser Bewußtsein und den sog. Inneren Zeugen, aus höherer Warte, gegenzusteuern. Ein häufiges Phänomen, welches nicht nur im Tango zu beobachten ist, und das auf ein menschliches Grund-Dilemma verweist, das uns auffordert, eine entsprechende Bedürfnis-Spannung ganz grundsätzlich anzunehmen und daran unsere innere Integrität zu schulen.
Dieses Grund-Dilemma besteht darin, daß wohl die meisten Menschen gerne für sich selbst das größtmögliche Maß an Freiheiten beanspruchen würden, sich dagegen von ihrem Partner immer maximal Sicherheit und Verfügbarkeit ersehnen, ohne sich dabei gleichzeitig in ihrem eigenen Freiheitsdrang eingeschränkt zu fühlen.
In extremer Ausprägung – wo dieses Dilemma als unüberbrückbare Kluft erlebt wird – kann sich darin auch eine kindlich regressive Haltung ausdrücken, die eines Kindes gegenüber seiner Mutter. Neulich ist mir irgendwo der Satz begegnet „Man kann mit einer Frau erst dann gut leben, wenn man auch ohne eine zu leben gelernt hat.“ Allerdings, selbst, wenn man dies vermag, kann dann ein solch schließlich nah gewordener Mensch auch leicht unsere Bindungs-Verunsicherungs- und Trauma-Themen aus der Kindheit antriggern, wo sie noch bestehen. Doch dadurch erhalten wir die Gelegenheit, diese in uns anzunehmen und zu bearbeiten.
Diese Option bekommen wir dann immer vom Leben zugespielt, anstatt, dem Impuls der größtmöglichen Schmerzvermeidung zu folgen, indem man versucht, den Partner einzugrenzen oder verdeckt zu manipulieren.
Falls Ihr Unterstützung und Begleitung wünscht bei dieser Inneren Arbeit, nehmt gerne dazu Kontakt mit mir auf, für ein kostenloses Vorgespräch. Denn dies gehört zu meinen Kernkompetenzen. Ihr erreicht mich auf Telegram unter @RalfSartori oder Mail: nymphenspiegel@aol.com, oder über mein Deutsches Telephon: 0172/ 827 55 75 Gerne für Einzelne wie auch für Paare.
Zitierter Satz beschreibt zudem auch nur die eine Hälfte der Wahrheit, wenn es um Beziehung geht, wohingegen die andere Hälfte – neben der Bereitschaft, immer wieder loszulassen – darin besteht, auch zugewandt, verbindend, wertschätzend, verläßlich und verbindlich zu sein.
Dazu kommt, daß langjährige Beziehungen bei vielen Paaren nur noch Bestand haben, weil beide sich mit bestimmten Eigenschaften des Partners arrangiert haben, die eigentlich als störend, die Anziehung mindernd und einen fruchtbaren Austausch erschwerend, empfunden werden. In der schwindenden Hoffnung auf Veränderungsbereitschaft und Weiterentwicklung, verbunden mit dem Verlangen, dennoch die wärmende Sicherheit der Beziehung und die Vertrautheit des Menschen nicht zu verlieren, der Teil des eigenen Lebens, der eigenen Geschichte, geworden ist und dieses bezeugen kann, wächst der Kontostand verborgener Unzufriedenheiten weiter an. Im normalen Leben haben wir die Kunst der Verdrängung, der Umdeutungen von Verhaltensweisen und des Nicht-Ansprechens von Problemen mit den Jahren vervollkommnet. Der Vertragstext des Paktes dahinter ist so simpel wie verbreitet und könnte ungefähr so lauten: „Mach mir mit meinen Macken und Unzulänglichkeiten keinen Streß, dann laß ich dich auch mit den Deinen auch in Ruhe.“ Ich möchte über diese Pakte gegenseitigen Stillhaltens nicht verallgemeinernd urteilen.
Fest steht aber auch, daß der Tango vom Rio de la Plata so unmittelbar und durchschlagend in seiner nonverbalen Art des Kommunizierens wirkt, daß er latent kriselnden Paaren meist in kürzester Zeit die ganze Ladung unter dem Teppich gehaltener Konflikt-Themen um die Ohren fliegen läßt. Und das ist dann natürlich mehr, als was sich dann in deren vollen Komplexität situativ verarbeiten ließe.
Und natürlich sind diese Schwächen, vor denen wir in Jahren der Beziehung kapituliert haben, dann nicht gerade leichter zu bearbeiten. Schon gar nicht, wenn wir den Partner unverblümt und direkt – mit allem auf einmal – darin spüren. Denn im subtilen Kontakt und Austausch dieses Tanzes nehmen wir all diese Eigenschaften auch noch stark vergrößert und ineinandergreifend wahr.
Um miteinander Tango zu tanzen, ist es zudem erforderlich, sich permanent mit aller Aufmerksamkeit und Wachheit einander zuzuwenden. Da läßt sich kaum mehr etwas ausblenden. Und versuchen wir es trotzdem, weil wir unseren Partner gar nicht mehr voll und ganz spüren wollen, deshalb nur sehr reduziert Kontakt aufnehmen und in Verbindung bleiben, erschwert dies den Tanz noch zusätzlich.
Der so anwachsende Druck aus zunehmender Genervtheit über den Partner und eigener Überforderung im Lern- und Erarbeitungsprozeß dieser nonverbalen Bewegungssprache, mündet dann nur allzu leicht in die Eskalations-Spirale gegenseitiger Schuldzuweisungen und persönlicher Vorwürfe.
Die häufigsten Reizthemen, die sich in diesem körperbezogenen Dialog meist leicht einstellen können, sind:
Unschärfe und Schlampigkeit in der Artikulation, ungenaues oder halbvermeidendes Zuhören über die sinnlich-körperliche Wahrnehmung beim Geben und Empfangen von Bewegungs-Signalen. Oft ist das verbunden mit fehlendem Warten auf den Führungsimpuls des Partners, wenn Frauen sich gegenüber ihren Männern schon teilweise innerlich abgeschottet haben, weil es ansonsten zu vieles gäbe, das sie an ihnen nicht mehr wahrnehmen wollen. Das erschwert, sich von ihnen im Tanze führen zu lassen. Als weiteres Reiz-Thema käme eine als solche empfundene Unklarheit in Stand, Haltung und Eigenstrukturiertheit des Partners hinzu. Oder Übergriffigkeiten in Form von Einschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit, Starrheit und Enge in der Umarmung, Ziehen und Zerren an der Achse, fehlendes Einbeziehen und Mitnehmen der Partnerin in die eigene Bewegung, Dominanz in der gemeinsamen Bewegung. Langweilige Schablonenhaftigkeit, also Wiederholung des Immer-Gleichen, Freudlosigkeit und Uninspiriertheit in der tänzerischen Routine – in Verbindung mit dem Abdriften der Aufmerksamkeit und dem Verlust der eigenen Präsenz. Oder eine zu lose Umarmung und als unverläßlich empfundene Verbindung.
Oftmals kommen aber gerade jene Paare in den Kurs, die beschlossen haben, jetzt mal schnell noch Tango zu lernen, um ihrer krisenbeschwerten, schwächelnden Beziehung wieder auf die Beine zu helfen und zugleich die erotische Anziehung in spielerischer Weise neu zu beleben. Ein fataler Fehler! Könnte man jetzt meinen. Das kann aber durchaus trotzdem funktionieren, auch wenn diese an sich bereichernden Lernprozesse immer wieder verunsichern. Das hängt jedoch sehr davon ab, welche Kommunikations- und Konfliktbewältigungs-Strategien ein Paar jenseits seiner Verdrängungs-Deponie entwickelt hat.
Auch regelmäßiger Wechsel beim Üben und Tanzen wirkt entlastend und motivierend, da viele Lernschritte und -Prozesse mit einem fremden und damit neutralen Partner – ohne gemeinsamer Beziehungs-Altlasten – plötzlich um so vieles leichter fallen als mit dem mitgebrachten Lebensgefährten, der sich dann nicht selten ganz positiv überrascht zeigt von den Fortschritten seines Partners, wenn er oder sie diesem nach dem tänzerischen Rücktausch wieder gegenüber steht.
Der Haken an der Sache ist allerdings ein sich aufdrängender weitverbreiteter Trugschluß: „Wenn es sich mit der oder dem anderen um so vieles leichter und angenehmer tanzen läßt als mit meiner Frau oder meinem Mann, wir wortlos so gut harmonieren, vielleicht wäre der oder die dann auch der bessere Beziehungspartner für mich. Zumal mit einem fremden Menschen auch der sinnlich erotische Energieflusß oft noch ungestört in Gang kommen und wirken kann, falls die Chemie bei beiden stimmt.
Natürlich sind solche Tanzerfahrungen, auch bei Paaren, die gemeinsam tanzen gehen, immer ein höchst belebender Genuß. Allerdings ist das nur die eine Seite der Münze. Mit ihrer Rückseite bezahlen viele dann durch Schmerz, Verunsicherung, Eifersucht und dem bitteren Gefühl, nicht zu genügen, wenn der Partner dann in den Vorzug eines solchen Tanzvergnügens kommt.
Es hat etwas mit Risikokultur zu tun, ob ich bereit bin, diese Spannung und Unsicherheit in einer Beziehung zu tragen. Vielen Paaren tut aber gerade diese Dosis an Eifersucht und Verunsicherung des Gefühls der selbstverständlichen Verfügbarkeit des Partners ganz gut. Denn diese stellt genau die Reibefläche dar – verbunden mit dem Erleben, dass mein Gefährte noch ein eigenständiger Mensch sein kann, der sich in Verbindung mit anderen Menschen weiterzuentwickeln vermag und mit diesen Lebendigkeit erfährt – an der sich Anziehung und Begehren neu entfachen können.
Dazu bedarf es allerdings der Bereitschaft einander loszulassen. Und das geht nicht ohne wirkliches Loslassen. Und das wiederum braucht eine vertrauensvolle Grundhaltung. Damit ist nicht gemeint: „Ich vertraue dem Partner, daß er immer wieder zu mir zurückkehrt, weil er sich stets neu für mich entscheiden wird. Das wäre unrealistisch. Denn in dieser Hinsicht kann kein Mensch Sicherheit versprechen oder diese ernsthaft erwarten. Mit vertrauensvoller Grundhaltung ist vielmehr eine Haltung gegenüber dem Leben gemeint, daß dessen Boden immer trägt, gleichgültig, was geschieht.
Allerdings braucht eine solche Risikokultur auch einen Gegenspieler, den der Bindungskultur. Betone ich zu lange einseitig den ersten Pol, kann es geschehen, daß ein Paar dabei so starke Zentrifugalkräfte entfacht, daß sie diese die Beziehung schließlich auseinanderreißen.
Wenn hingegen der andere Pol überbetont wird, kann es zu einer übergroßen Gravitationssog kommen, welche die Beziehungswelt zusammenschrumpfen, veröden und schließlich implodieren läßt. Letztere Art von Beziehungen sind vor allem angstgesteuert und basieren auf der gegenseitigen Lähmung aller Freiheitspotenziale des Partners wie auch der eigenen.
Solche Verbindungen bilden nicht mehr als die Summe ihrer Teile ab, sondern liegen traurigerweise noch weit darunter.
Die davor beschriebene Art der Beziehungspflege erfordert jedoch ein Mindestmaß an innerer Stärke, individueller Bindungs-Sicherheit und Selbstständigkeit. Begünstigt, wer fähig, mutig und willens ist, eine solche Entwicklungsbeziehung zu leben. Ich maße mir nicht an, über die anderen zu urteilen. Denn es bestehen immer für jeden Schritt gute Gründe, ihn zu tun, aber auch gute Gründe, ihn zu unterlassen.
Doch es gibt auch die Paare, die diese Balance in spielerischer Leichtigkeit hinzubekommen scheinen. Ein Glücksfall? Bei anderen mag dies nur deshalb so aussehen, weil das Ausmaß ihrer gegenseitigen Anziehung, Berührungstiefe und Bindungskräfte nicht so kräftig ist, oder auch einfach ihre karmische Vorgeschichte, als daß sie die Herausforderung der Freiheitlichkeit existenziell wirklich herausfordern könnte. Denn es gibt auch in dieser Hinsicht viele Gründe, warum Paare die eine oder andere Art von Beziehung eingehen. Um die inneren Qualitäten dahinter jeweils beurteilen zu können, ist es immer erforderlich, tiefer hinzuschauen. Denn manche suchen sich auch aus Angst vor weiterem Verlust und Schmerz – bewußt oder unbewußt – lieber einen Partner aus, der sie nicht existenziell in der Tiefe berührt. Für sie lebt es sich dadurch sehr viel entspannter, aber auch langweiliger und temperierter. Selbst wenn die Beziehung – oberflächlich betrachtet – einen freiheitlichen Eindruck erweckt.
Was ist jedoch mit denen, die beide Seiten nicht in Einklang bekommen, sich aber selbst nicht einzuschränken bereit sind? Vor allem in den südlichen, katholisch geprägten Kulturen, ist es verbreitet, beschriebenes Dilemma in der Schaffung heimlicher Doppel-Leben und ihren Affären zu umgehen, was nicht nur zu immer komplizierter werdenden Lügenkonstrukten, sondern mit der Zeit durch Gewohnheit auch zu einer unaufrichtigen Grundhaltung führt. Abgesehen davon, daß so etwas ein Leben nicht gerade unkomplizierter macht, stellt das für viele Menschen oder Paare anscheinend kein gravierendes Problem dar, oder sie haben sich zumindest, aus dem Gefühl der Unausweichlichkeit, damit mehr oder weniger arrangiert. Sie sind in der Regel keine Zielgruppe für den Paartherapeuten.
Gerade in Argentinien erzählt man sich auch Anekdoten über Paare, wo ein Partner immer heimlich zum Tangotanzen geht, weil er zuhause keine Eifersuchtsdramen auszufechten oder dem Partner Gleiches zuzugestehen bereit ist, allein auf Milongas zu gehen. Man hält dann also Tanzschuhe, passende Kleider oder Anzüge im Kofferraum des Wagens deponiert und zieht sich nach der Arbeit noch schnell um, während man dem Ehemann oder der Ehefrau das große Leid zahlreicher Überstunden und nicht enden wollender nächtlicher Konferenzen klagt.
Aber kehren wir noch einmal zu den anderen zurück, die weder eine „tote Beziehung leben wollen“, noch diesem „Dilemma“ strategisch ausweichen. Die auch darum wissen, daß einem der zumindest vermeintlich sichere Partner irgendwann, selbst wenn er einem nicht abhandenkommt, so doch in einer zu engen Beziehung langweilig werden kann. Und die bereit sind, mit der grundsätzlichen Unsicherheit, die allen menschlichen Beziehungen innewohnt, zu leben, weil sie sich und ihr Paarsein lebendig erhalten möchten. Weil sie ihren Partner lieben und bei ihm bleiben möchten, und weil sie auch sich und das eigene Leben wertschätzen.
Es gibt einen Tango mit dem Titel Naranjo en Flor (Blühender Orangenbaum), in dem es heißt: „Primero hay que saber sufrir, después amar, después partir y al fin andar sin pensamiento…“(„Zuerst muss man zu leiden wissen, danach lieben lernen, dann sich trennen und am Ende gehen können ohne einen Gedanken…“)
Es wurde schon so schrecklich viel darüber geschrieben, daß man es gar nicht mehr hören oder lesen möchte: wie wichtig es doch ist, eine gute Beziehung zu sich selbst zu pflegen, in Kontakt mit sich zu bleiben und seinem Leben Sinnhaftigkeit zu geben. Und dazu gehört auch das Annehmen der eigenen Einsamkeit und der Erfahrung des Scheiterns. Denn wie erlernt man am besten den Seiltanz? Durch Abstürze und indem man das Seil immer wieder neu begeht.
Rainer Maria Rilke schreibt in seinem Werk „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“: „Weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.“ Die wahren Helden sind nicht immer die, die mit spektakulären Taten brillieren. Es sind eher jene, die nach Wahrhaftigkeit in ihrem Leben suchen, und solchen Impulsen zu folgen bereit sind, die sich nach dem Leben und ihrem innersten Herzensruf ausrichten, auch wenn das manchmal bis an alle Grenzen, und darüber hinaus schmerzt. Doch der schlimmste Schmerz liegt ohnehin darin, der inneren Herzensberufung nicht zu folgen. Ohnehin ist uns nichts auf Dauer gegeben. Erinnern wir uns jeden Tag daran, dann fällt das Loslassen leichter und die Liebe kann uns befreien. Oder wie die Sufis sagen: „Leben ist, in jedem einzelnen Augenblick Sterben und Geborenwerden.“ Davon hat sich auch Goethe zu seinem Vers inspirieren lassen: „Und so lang du das nicht hast: Dieses Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.“
Warum also nicht mal anders sterben, als sich immer nur in den ewig gleichen Schleifen totzulaufen?
© Ralf Sartori
Der Original-Tango vom Rio de la plata als UniversalMedium
Der Original-Tango vom Rio de la plata stellt sich uns als UniversalMedium dar, das ein Fenster bildet in die Tiefen und Weiten des Lebens, dessen Streben nach dynamischen Gleichgewichten auf allen Ebenen von Beziehung, sämtlicher ihrer Aspekte. Und alles Leben ist ja stets ein Beziehungsgeschehen, schon allein auf Ebene der Wahrnehmung, wie wir aus der Quantenphysik auch wissenschaftlich verbürgt wissen: „Der Betrachter und das Betrachtete sind eins“. Dies bindet sich auch an die Hermetischen Gesetz an, derer Eines lautet: „Wie Innen so Außen“.
Und der Tango hat als universelles Interaktions-Medium aus meiner Sicht tatsächlich die universale Tiefe und Präzision, zentrale WirkAspekte des Göttlich-Lebendigen im Kleinen – dem tänzerischen PaarKosmos – abzubilden.
Wenn Ihr mehr darüber erfahren möchtet, dann gerne unter meinem zweiten kostenlosen Buch hier: https://integrale-mediation-beratung-meditation-muenchen.de/916-2/

Blick in meinen Münchner Tanzraum, wo ich auch Begleitungen Einzelner und Paare anbiete, Stunden des Gesprächs, auch auf Wunsch mit Integraler Mediation und/ oder Körperarbeit
Warum Tango?
Er stellt sich uns als nonverbale Weltsprache, Körper- und Bewegungs-Esperanto, Entwicklungs- und Erfahrungsraum mit universalem Themenfeld dar
Natürlich ist die heutige Kultur des Tango, wie er in Mitteleuropa getanzt wird, mitgeprägt von einer defizitären, bedürftig suchenden Gestimmtheit und einer verzweifelten Entschlossenheit zum Erlebnis-Konsum, dem unermüdlichen Streben nach dem noch größeren ‚Kick‘.
Auf der anderen Seite bildet sich darin aber auch eine Gegenwelt zu diesem Hunger ab, der im kargen Boden inneren Mangels, der Bedürftigkeit, der Unverbundenheit mit den essenziellen Kräften und Dimensionen des Lebens, mit Mutter Erde, den eigenen Herz- und Bauchkräften, damit den transzendenteren Ebenen des Seins, ab, voll tiefgründiger Erfahrungs-Möglichkeiten.
Tango ermöglicht, sich mit Menschen jeder Kultur innig und intensiv zu verständigen, in einer Art Ganzkörper-Esperanto, bei dem sämtlichche Sprach-Barrieren fallen. Denn er ist eine Sprache, die ohne Worte auskommt, in der sich Mann und Frau unmittelbar über Dinge austauschen können, die sich mit Worten nur unzureichend ausdrücken lassen, oder die man unbekannten Menschen kaum mitzuteilen wagen würde.
Er erlaubt uns eine unfaßbar intime Umarmung und befreit zugleich von jeder Notwendigkeit, diese zu begründen. Dabei ist er die getanzte, sich immer wieder neu entspinnende Geschichte zwischen Mann und Frau, in Form eines etwa 12minütigen PaarErlebens, und zwar in einer idealtypischen, nicht nur höchst präsenten und achtsamen Weise, sondern auch auf Ebene sämtlicher Polaritäten sich konstant fließend ausbalancierenden Weise, deren Bogen meist über drei bis fünf Tangostücke gespannt ist, einer sog. Tanda.
Im Tango findet dabei immer eine Art Entwicklung des Geschehens statt, wodurch er über die zyklische Wiederholung der Drehtänze weit hinausweist. Es gibt einen Anfang: Zwei Menschen begegnen sich und beginnen, einander und jeweils sich selbst, im Hinblick auf ein neues Gegenüber – Wange an Wange und Brust an Brust – kennenzulernen. Nähe und Vertrautheit nehmen zu. Eine Einschätzung der tänzerischen Möglichkeiten wird beidseitig vorgenommen. Man probiert und verwirft. Die Kommunikation erweitert und verdichtet sich abwechselnd. Man entwickelt und vertieft miteinander Themen, findet Chiffren (Tanzelemente) und dehnt ihre Vernetzung aus in immer komplexere gemeinsame Bewegungsmöglichkeiten. Dadurch erhält dieses freie Spiel ein ausgesprochen narratives Gepräge – und daß eine solche Geschichte, die zwei Personen in diesem tänzerischen Duett von Mal zu Mal neu improvisieren und erfinden, nicht immer nur eine Angelegenheit für die Tanzfläche bleibt, läßt sich schon erahnen.
Ist Tango überhaupt ein Tanz, dieses immerwährende Unikat, dieser unvorhersehbare Spaziergang auf verschlungenen Wegen?
Er entwuchs dem kollektiven Ausdruck kreativer Improvisation und Kommunikation zwischen den Menschen verschiedenster Herkunfts-Kulturen in den Vorstädten am Rio de la Plata zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei entstand in einem transgenerationalen, von keiner zentralen Instanz gelenkten Schöpfungsprozeß dieses eigenartige Misch- und Zwitterwesen, als Ausdruckt und Produkt der Suche nach einer neuen kulturellen Identität: zu gleichen Teilen geboren aus Kampf, Abgrenzung und Rivalität einerseits, sowie aus sehnendem Suchen und Anziehung, dem Verlangen nach Nähe, Wärme und gefühlvollen Austausch andererseits.
Der Tanz besitzt noch zwei ihm ebenbürtige Schwestern: die Musik und die Poesie seiner Texte, und ist bis heute, nicht nur in den beiden Ursprungsländern, vor allem ein städtisches Phänomen geblieben. In Argentinien wurde er, als Kind der Gosse und wegen seiner Anrüchigkeit, der Nähe zu den Bordellen, wo sich seine Wiege befindet, auf dem Land nie wirklich akzeptiert. Deshalb fügt er sich auch nicht unter den Begriff der Folklore. Genau genommen paßt er in überhaupt keine Rubrik. Denn nach einiger Zeit mit ihm stellt sich die Frage, ob dieses gemeinsame nah umschlungene, fließende Miteinander-Gehen, voll von gehaltener, sich komprimierender Energie und katzenhaftem Verzögern, in unvorhersehbaren Arabesken, überhaupt ein Tanz, oder nicht vielmehr etwas ganz anderes ist: wofür es, aufgrund seiner Einzigartigkeit, an einem Oberbegriff mangelt.
Er entzieht sich aller Vereinnahmungsversuche, bleibt aufgrund seines Wesens nicht standardisierbar, nicht käuflich – und beunruhigend eigen. Er ist ein Einzelgänger, geboren in den chaotischen und wild gewachsenen Armutsquartieren an den Rändern städtischer Vororte am Rio de la Plata, die sich unvermittelt in den Weiten der Pampa verloren. Auch er hat die Weite im Blick, der beim Tanzen unfokussiert, bei geradem Haupt, in die Unendlichkeit gerichtet, ruhig mit der Bewegung des Paares – in paralleler Achse zum Boden – mitfließt. Er ist ein Alchemist, und ein Anarchist, der kommt und geht, wie es ihm gefällt, der auch heute zwischen Fabriketagen, schmuddeligen Kneipen-Hinterzimmern und Schloß-Sälen nach Belieben hin und her wandelt, scheinbar undurchschaubar, und der doch nach strengsten Regeln lebt, präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, und paradox ist, bis in sein Mark hinein. Und der auf all die hohlen Medien-Klishees und korrumpierten Leichtgewicht-Schreiberlinge pfeift!
© Ralf Sartori
Mensch, gib acht! Oder „Shpil zhe mir a lidele oyf yidish”
Wenn hier der Frage nachgegangen wird, was einen Menschen auszeichne, kommt mir zuerst das Bild einer Tangotänzerin in den Sinn, die in ihrer Mitte ruht und sich vertrauensvoll, wach und spürig, hochsensitiv und eigenverantwortlich, sinnlich und geistvoll – nun auf höherer Ebene, analog betrachtet –, vom LEBEN, als der schöpferischen Essenz des Universums, der Göttlichen Liebe, führen läßt?
Und wie wir es uns nicht zuletzt, sofern wir es nicht selbst fühlen, auch seitens der Weltreligionen immer wieder sagen lassen können, ist das Wesen dieser Essenz die LIEBE. Sie befreit, weil sie unser kleines Ich, seine engen Grenzen, überschreitet und auflöst. Indem sie uns dem Bewußtsein wieder näher bringt, daß alles zutiefst miteinander verbunden ist. In der Liebe erwachende Menschen handeln zunehmend aus diesem Wissen um die Einheit, nicht aus der Vorstellung des Abgetrennt-Seins. Oder wie es der persische Mystiker und Dichter Dschelal ed-Din Rumi in einem seiner bekanntesten Aussprüche sagt: „Wo die Liebe erwacht, stirbt das Ich, der dunkle Despot.“ Die Liebe als Inbegriff des Lebens, als Vermittlerin eines gesteigerten Bewußtseins, daher des Göttlichen und in diesem Sinne auch des Menschlichen. Beide können in der Liebes-Erfahrung des Subjekts zueinanderfinden und eins werden. Damit ist natürlich nicht die bedürftige co-abhängige Liebes-Erfahrung gemeint, sondern die bedingungslose Liebe.
Rumi weiter: „Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Christen, aber er war nicht dort. Ich ging zu den Tempeln der Hindus und zu den alten Pagoden, aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden. Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern, aber weder in der Höhe noch in der Tiefe sah ich mich imstande, ihn zu finden. Ich befragte die Gelehrten und Philosophen, aber er war jenseits ihres Verstehens.
Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er, als ich ihn sah. Er ist nirgends sonst zu finden.“
Sind wir also womöglich nicht einfach durch Geburt schon Menschen? Das sichrlich schon, denn ganz gleich, für welche menschlichen Erfahrungsräume und -Möglichkeiten wir uns im betreffenden diesseitigen Leben jeweils entscheiden, können wir uns als ewige Wesen, die als individuelle direkte Ausstrahlung der Göttlichen Quelle schon immer da waren und immer da sein werden, nicht final ent-menschen. Doch, um uns im Hier und Jetzt unser Menschsein auch zu leben, bedarf es der zunehmenden Verkörperung der adjektivischen Form dieses Begriffs: eben menschlich zu sein.
Alles, was dafür nötig, praktisch die ganze Ausstattung, tragen wir ja in uns. Doch es scheint, daß es zum MenschSein einer aktiven Inanspruchnahme dieser Ausstattung bedarf. Ich kann den Menschen in mir zum Tanzen bringen – aber immer nur mit dem Leben – oder auch etwas ganz anderes als das, neben dem Rhythmus des Lebens, wenn ich für dessen Musik schon taub geworden bin.
In letzterem Falle bedarf es vielleicht ein wenig mehr der Stille und Gehörschulung, also der ruhigen und nicht urteilenden Introspektion, einem bewußt gelenkten Aufräumen im Inneren, um mit dem GANZEN wieder mehr in Einklang zu gelangen, mit dem wir auf höherer Ebene sowieso verbunden, und auf höchster Ebene sogar eins sind – mittels unserer Göttlichen Wurzel.
In diesem Zusammenhang kommt man, weil es so trefflich auf den Punkt gebracht, wie ich finde – und der Tanz auch hierin die zentrale Metapher bildet – nicht am „Manifest für das Leben“ vorbei, das manche Friedrich Nietzsche zuschreiben. Zwar konnte ich es in seinem Werk nirgends entdecken, doch letztlich finde ich es auch völlig belanglos, wer die diesem Text zugrunde liegenden Ideen-Bilder empfangen hat:
„Die man tanzen sah / wurden für verrückt erklärt / von denen / die die Musik nicht hören konnten / das Bild nicht sehen / nicht zusammensetzen konnten / die bewegten Körper / die keinen Sinn erfüllten / keinem Zweck nachgingen. / Die Musik der Welt / ist allgegenwärtig / sie zu hören und zu tanzen / ist eine Gabe / ist denen gegeben / die die Welt hinter den Maschinen / noch nicht vergessen haben / Bewahrer des Schönen / Krieger der Freiheit / die gilt es zu finden / auszugraben / unter den Trümmern. Die drehenden Wände anhalten / die Hände aufhalten / mit Küssen den Beton sprengen / mit offenen Augen in offene Augen blicken / von allen Sinnen Gebrauch machen / und den Atem in sein Flußbett legen / die alten Rituale aus dem Museum befreien / die Legende am Leben halten / und neu erzählen /
Die Welt ist ja noch da / und ein Mensch darf SEIN.“
Menschlichkeit bedarf keiner Moral, und hat mit ihr auch nichts zu schaffen, da Erstere immer einen individuellen Ausdruck des Empfindens und Handelns aus dem innersten Herzraum, unserer Fünften Herzkammer, und der damit verbundenen höheren Vernunft darstellt. Die Moral hingegen ist konditioniert, und tritt erst durch die Tür, wo der Einklang mit dem Ganzen verloren gegangen ist. Wahre Menschen handeln aus der Fülle der Liebe und Verbundenheit, auch mit ihren höheren und höchsten Bewußtseinsmöglichkeiten, soz. aus einer Geistigen Vogelperspektive, nicht aus der Vorstellung des Abgetrennt-Seins eines stetig Mangel erleidenden Ichs, das sich nur allzugerne über das der Anderen stellen und vor die Anderen drängen möchte.
Der Begriff „Mensch“, welcher in der bis heute unveränderten Form dem Mittelhochdeutschen entstammt, findet in unserem Sprachraum schlicht und einfach für Artgenosse Verwendung. Und er ist über das Jiddish der ostjüdischen Auswanderer in den betreffenden englischsprachigen Metropolen und durch diese, insbesondere New Yorck, längst internationalisiert.
Der Autor Leo Rosten hat Ende der sechziger Jahre eine amüsante Enzyklopädie zusammengestellt, die jiddische Begriffe, jüdische Geschichte, Folklore und Witze mit einer zwanglosen Einführung in die Grundelemente des Judaismus verbindet. „Es ist gar nicht leicht, den Respekt, die Würde und die Zustimmung zu vermitteln, die in dem Begriff mitschwingt, wenn jemand `a real mentsh´ genannt wird: ein Vorbild, ein edler Mensch.“, so Rosten. Von den vielen jiddischen Lebensregeln zum Menschen thematisierte Max Weinreichs History of the Yiddish Language (1980) den Spruch „A mentsh heyst mentsh vayl er menthshet zikh«, bei dem das Wortspiel erst durch die Integration der slawischen Komponente `mentshen´ (bedeutet: kämpfen) entsteht, wie wir in der „Jüdische Allgemeine“ vom 13 Februar 2014 nachlesen können.
Der Kolumnist Richard Cohen ernannte 1986 in der Washington Post `Mensch´ zum größten Geschenk des Jiddischen an die englische Sprache. „US-Zeitungen basteln daraus immer wieder eigene Wortschöpfungen wie `menschy´, `menschyness´ und `mentshkeit´.“
„Mentshkeit“, paßt das überhaupt noch in unsere Zeit der Profilneurosen, wo wir uns im täglichen Konsumrausch anhand irgendwelcher Waren illusionäre Live-Stiles andichten lassen.
Im „Jiddischen Tango“, scheint sich jedenfalls eine ganze Palette von Eigenschaften einer Mentshkeit auszudrücken. Diese Wesensmerkmale bezeichnen uns in unserer Menschlichkeit, also der nicht nach vermeintlichen Vor- oder Nachteil abwägenden Seite in uns. Das trifft natürlich ebenso auf alle Nicht-Juden zu.
Gleiches gilt für den argentinischen Tango, für den, um ihn in seiner Tiefe zu erfassen, man ebenfalls kein Argentinier zu sein braucht. Wir erinnern uns an die grund-humanistischen Qualitäten wieder, welche diese Musik transportiert, während wir sie hören. Und sicherlich gilt das für jede Art echter Musik. Doch der Tango beinhaltet, allein schon aufgrund seiner besonderen Entstehungsgeschichte eine ganz besonders existenziell berührende Tiefenströmung.
Vielleicht ist das genau der Grund dafür, daß diese Musik-Schöpfung der Einwanderer aus aller Welt an den Rio de la Plata schon während seiner ersten Welle eines kulturellen Re-Importes, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf breiter Ebene globalisierte. So entwickelte sich bereits damals ein eigenständiger finnischer Tango daraus, eine typisch arabische Form. Er verbreitete sich aufgrund kolonialer Strukturen ebenso in Algier und Tunis wie auch in Beirut und Casablanca. Gleichfalls in der Türkei traf er auf die Begeisterung der urbanen Bevölkerung. Kemal Atatürk war ebenso ein großer Tangoliebhaber. Denn der Tango berührt etwas tief in uns, das größer ist, als unser kleines Ich, der dunkle Despot.
Unter den Auswanderern an den Rio de la Plata befand sich seit Ende des 19. Jahrhunderts immer auch ein beträchtlicher Anteil osteuropäischer Juden, die vor den Pogromen in ihrer Heimat geflüchtet waren und deren Musiker natürlich auch den Tango für sich entdeckten und diesen in ihrem Spiel mit Elementen und den Klangfarben slawischer Musik anreicherten, die sie von Zuhause mitbrachten. Sarah Ross, Professorin für jüdische Musikstudien an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, erklärt: „Die Einwanderer waren auf der Suche nach einer Musik, die das Gefühl der Entwurzelung, der Ausgrenzung und Heimatlosigkeit widerspiegelt und im gerade entstandenen Tango fanden sie eine ideale Projektionsfläche.“ Mit dem Re-Import auch speziell dieses Tango, als ganz eigene Variante, in die europäischen Metropolen, entstand dort wiederum ein ausgeprägt jiddischer Tango, der während der Nazi-Herrschaft beispielsweise vor allem aus umgearbeiteten jüdischen Schlagern der Vorkriegszeit bestand. Sie etablierten den Tango in Ballsälen und Revuetheatern von Lodz bis St. Petersburg und begannen bald, auch eigene Tangolieder zu komponieren und Texte in ihrer jiddischen Muttersprache zu schreiben.
In Russland war es der in Bessarabien geborene nicht jüdisch-stämmige Pjotr Konstantinowitsch Leshchenko, der dem Tango in russischer Sprache zu großer Popularität verhalf. Man könnte fast sagen – stimmlich und von seinem Charisma her – ein Carlos Gardel des Ostens. Er machte mit seiner Art zu singen eine beispiellose Karriere, die ihn in viele wichtige Konzertsäle Europas führte. Eines seiner Konzerte in London wurde sogar in voller Länge von der BBC übertragen.
Im russischen Fernsehen gab es eine Serie über sein Leben, mit kongenial besetzter Hauptrolle, vergleicht man diese Figur darin mit den Originalaufnahmen.
Hier zwei Links aus dieser Serie: https://www.youtube.com/watch?v=BkYYH5J0NgI
und: https://www.youtube.com/watch?v=UOb2t8bCAX0
Nun zwei Originalaufnahmen Pjotr Leshchenko: https://www.youtube.com/watch?v=vIo5Kvp5QAE&list=RDRUC33NJDWfQ&index=2
und nun mit längerer Titel-Liste: https://www.youtube.com/watch?v=QlQ4Mw57z1Q&list=PL3KBzxOSIhtdkUZVKe-FY98OXJBCmSiGZ
In Bukarest, in Rumänien, das im zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland verbündet gewesen war, hatte Pjotr Konstantinowitsch Leshchenko sein eigenes Lokal, das Leshchenko, wo er selbst auftrat.
Nach der Einnahme Rumäniens durch die Rote Armee fand er dann in Befehlshaber Burenin einen großen Liebhaber seiner Kunst – und Förderer, bis dieser bei Stalin in Ungnade fiel. Schließlich ließ Stalin auch Leshchenko abtransportieren und im Lager hinrichten, da er einen dezenten Hinweis von ihm, seinen Bukarester Club besser zu schließen, nur mit der Bemerkung quittierte: „Stalin“ Wer ist Stalin?“ – so zumindest die Legende.
Seitdem gilt er, bis heute, in Rußland als ein Symbol des Aufbegehrens und Widerstandes. Während der UDSSR war seine Musik sogar verboten, doch die Leute ließen sich die Tonrille, die sich normalerweise auf Venyl-Platten von außen nach innen schraubt, sehr einfallsreich und gewitzt, in alte Röntgen-Platten gravieren (die man mit dem typisch russischen Sinn für schwarzen Humor einfach nur „Rippchen“ nannte). So konnten sie ihn heimlich trotzdem hören, solange sie dafür kein Nachbar denunzierte. Geschah letzteres, bedeutete das für den Hörer ebenfalls „Gefängnis“ oder „Lager“. Das erzählte mir einmal ein alter Russe in gebrochenem Englisch, der zu Zeiten der Maueröffnung, schäbig gekleidet wie ein Clochard, mit zwei großen, schwer gefüllten Plastiktüten über den Kudamm schlurfte, die voll waren mit alten Schallplatten von Leschchenko, von denen einige zu kaufen ich durch diese Begegnung das große Glück hatte. Er sprach mich deswegen an, da ich an diesem Tag mit meiner damaligen Tanzpartnerin Tango auf der Straße tanzte, um wieder ein paar überfällige Rechnungen bezahlen zu können und das bei dieser Gelegenheit gleich mit Üben zu verbinden.
Heute ist Leshchenko auch im Westen kein Unbekannter mehr, und man kann seine CDs mittlerweile sogar ganz leicht per Mausklick oder auf Youtube finden.
Doch zurück zu den jiddischen Communities der letzten Vorkriegszeit: Der Tango, dessen Rhythmen so kompatibel waren mit der traditionellen jiddischen Volksmusik, behauptete sich dadurch in Osteuropa noch lange, selbst als 1939 das NS-Regime mit der Errichtung der Ghettos und der Deportation der Juden in die Konzentrationslager begann. Wie, manches davon, in einer Kultur-Sendung des Schweizer Fernsehens „SRF“ zu erfahren ist, mit dem Titel „Viel verschollen und fast vergessen – Jiddischer Tango“. Hier, das Stück, das diesem Essay auch den Namen gibt: https://www.youtube.com/watch?v=aJl1Xt8R0SQ
„Während des Lebens im Schatten des Todes in den Ghettos und unter den unmenschlichen Haftbedingungen in den KZs verkörperte der Tango eine Hoffnung auf Freiheit“, so nochmal Sarah Ross: „Der jiddische Tango diente den deportierten Jüdinnen und Juden als emotionale Stütze, er diente zur Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls und des Überlebenswillens, auch wenn das unwirklich klingt.“
Tango gab auch den Inhaftierten in den KZs Hoffnung. Die Nazis zwangen diese jedoch ebenso, den Gang in die Gaskammern mit Tangomusik zu begleiten.
Nicht wenige der jiddischen Tangolieder, die in den Ghettos und Konzentrationslagern entstanden waren, gründen auf jiddischen Schlagern der Vorkriegszeit, die bearbeitet und mit neuem Text versehen wurden. Ein Beispiel ist das Lied „Jiddischer Tango“, das von Rufen Tsarfat im Ghetto Kauen in Litauen geschrieben wurde und auf dem bekannten Lied „Shpil zhe mir a lidele oyf yidish“ basiert.
Der neue jiddische Text spielt mit dem mittelalterlichen Motiv des Totentanzes: „Spiel mir einen Tango, doch bloß nicht arisch / auf keinen Fall arisch und barbarisch / Alle Feinde sollen seh´n, dass ich immer noch einen Tanz aufs Parkett legen kann, der sich gewaschen hat!“
In den Ghettos und Konzentrationslagern entstanden aber auch originäre Lieder. Der aus Vilnius in Litauen stammende Shmerke Kaczerginski, der 1954 in Argentinien starb, zum Beispiel, schrieb nach dem Tod seiner Frau im Ghetto von Wilna das Liebesgedicht „Friling“, das Abraham Brudno mit einer lyrischen Tangomelodie vertonte – hier erstmal im Original: https://www.youtube.com/watch?v=pZ6kDLGuPWw
Und nun als Tango vertont, von Abraham Brudno: https://www.youtube.com/watch?v=DgkGDJbtEYY
„Ich irre im Ghetto von Gasse zu Gasse und kann keinen Ort finden / Nicht da ist meine Liebe, wie erträgt man es?“
Und wenn die Liebe nicht da ist, … auch nicht aus dem eigenen Herzen zugänglich, als unsere Wesens-Essenz, … wie erträgt man es dann, kein Mensch zu sein?
Noch als Nachklang: https://www.youtube.com/watch?v=wEL0RL_bBkw
Und: https://www.youtube.com/watch?v=ENSFSYqqfOk
© Ralf Sartori